11.01.2020
Ernst Barlach Haus:
«WERDEN, DAS IST DIE LOSUNG» - Szenen zum 150. Geburtstags von Ernst Barlach



Mit dem Ernst-Barlach-Haus gehört zum historischen Jenisch-Park seit November 1962 ein weiteres Museum. Der Ausstellungsbau ist dem großen expressionistischen Künstler gewidmet. Ernst Barlach, am 2. Januar 1870 in Wedel bei Hamburg geboren, lebte und arbeitete seit 1909 im mecklenburgischen Güstrow und starb am 24. Oktober 1938 in Rostock. Die Brücke von Güstrow nach Hamburg bildet die Stiftung Hermann F. Reemtsma, die die private Barlach-Sammlung des Stifters und das Ausstellungshaus betreut.

Zur ersten persönlichen Begegnung zwischen Ernst Barlach und Hermann Fürchtegott Reemtsma kam es 1934. Der Zigarettenfabrikant suchte den Künstler in seinem Atelier in Güstrow auf. Der Industrielle und Kunstsammler war begeistert von Barlachs Plastiken und erwarb die Holzskulptur »Der Asket«. Über seinen ersten Barlach-Kauf schrieb Reemtsma im November 1948 an einen Bekannten: »Ich bin 1934 zu ihm hingefahren, weil mich seine Kunst, der ich erst zwei Jahre vorher bewusst begegnet war, anging. Alles weitere, was daraus folgte, war innere Verpflichtung und hat nichts mit Mäzenatentum zu tun.«

Nicht erst seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 war Barlachs Kunst in Holz, Bronze und auf Papier, auch seine Dramen und seine Prosa, unerwünscht. Schon in der Weimarer Republik führten völkisch-national gesinnte Kreise um seine Ehrenmale, die sich in Güstrow (heute in Köln), Kiel, Lübeck und Magdeburg befinden, einen scharfen Kampf. Seit 1930 verkaufte der Künstler seine Arbeiten immer schlechter. Aufträge blieben aus, Ausstellungen und Aufführungen der Dramen wurden immer häufiger abgesagt. Die Kunst Barlachs wurde in den Feuilletons nationalistischer Zeitungen mit den Worten »undeutsch« und »minderwertig« diffamiert. Barlachs finanzielle Situation war mehr als schlecht. Doch trotz aller Angriffe und seiner Ausgrenzung im Kunstbetrieb arbeitete Ernst Barlach in seinem Güstrower Atelier weiter.

Ab 1933 verstärkte sich der politische Druck auf den sensiblen Künstler dramatisch. Ernst Barlach passte sich nicht der staatlich verordneten nationalsozialistischen Kunstdoktrin an. Er setzte weiter auf seine eindeutige Handschrift. Seine Formensprache blieb einfach, klar und direkt. Da der Künstler aus eigener Anschauung Russland kannte, war in seinen Werken immer wieder auch der russische Mensch Thema. Für die herrschenden Nationalsozialisten eine Provokation. Sie belegten die Arbeiten des Humanisten Barlach mit dem Stigma »entartete Kunst«. Die Stimmung der Güstrower Bürger war durch die NS-Kulturideologie so angeheizt, dass es in der Stadt zu tätlichen Übergriffen auf den Künstler kam. Bis zu seinem Tod blieb Ernst Barlach im Deutschen Reich ein Verfemter. Dass schreckliche Zeiten kommen, erfuhr Barlach Anfang 1933 durch die Annullierung eines großen Auftrages. Gemeinsam hatten die Schauspielerin Tilla Durieux und ihr Mann Ludwig Katzelellenbogen beim Künstler die Figurengruppe «Fries der Lauschenden» in Auftrag gegeben. Da beide 1934 emigrieren mussten, kehrten die drei bereits fertiggestellten Holzfiguren nach Güstrow zurück. Ernst Barlachs finanzielle Lage war bedrohlich. In dieser Situation traf der Industrielle Hermann F. Reemtsma bei seinem ersten Atelierbesuch in Güstrow den Künstler an.

Der Grundstein für den Zigarettenkonzern, dessen Mitbesitzer Herrmann F. Reemtsma war, wurde in den zwanziger Jahren gelegt. Am 12. November !929 veröffentlichte «Die Weltbühne» einen mit «Neuerburg und Reemtsma» überschriebenen Beitrag. Der Autor T. H. Tetens schrieb: «…von den rund siebenhundert Herstellungsbetrieben aus dem Jahr 1924 sind kaum mehr als zwei Dutzend namhafte Firmen übriggeblieben. Die wenig selbständigen Firmen werden von den beiden Mammutkonzernen Reemtsma und Neuerburg fast erdrückt, die heute schon zusammen achtzig Prozent der deutschen Zigarettenproduktion beherrschen.« Und weiter: »Der ärgste Skandal war jedoch die bewusste Förderung der Interessen der Konzerne Reemtsma und Neuerburg durch beeinflusste hohe Beamte des Reichsfinanzministeriums. Bestimmte Kreise hatten sich schon immer um die Herbeiführung der Zwangswirtschaft im Zigarettengewerbe bemüht. Im Frühjahr 1927 wurde fieberhaft und äußerst geheim von den das Privatmonopol anstrebenden einflussreichen Vertretern der Konzernindustrie hinter den Kulissen gearbeitet, mit dem Erfolg, dass das Ministerium am 18. Mai 1927 eine Verfügung erließ, die unter dem Vorwand, das Steueraufkommen zu sichern, mit einem völlig ungerechtfertigten und verfassungswidrigen administrativen Eingriff die Wirtschaftsfreiheit des Zigarettengewerbes weniger Großfirmen aufhob. Dieser geglückte Coup brachte durch die behördlich angeordnete Herabsetzung des Händlerverdiensts allein dem Konzern Reemtsma eine Sonderbereicherung, die hoch in die Millionen ging.«

1929 kontrollierte die Reemtsma-Gruppe bereits 40 bis 50 Prozent der gesamten deutschen Zigarettenproduktion. Nach 1933 stieg der Anteil durch weitere Eingliederungen von Herstellern in die Reemtsma-Firma auf 80 Prozent der Gesamtproduktion an. 1935 änderte das Unternehmen seine Rechtsform von einer Aktiengesellschaft in eine Kommanditgesellschaft. Haupteigentümer der Reemtsma-Firma war Philipp Fürchtegott Reemtsma, Bruder des Kunstfreundes Hermann, der beste Verbindungen zur nationalsozialistischen Macht hatte. Im August, es kann auch der September 1933 gewesen sein, das genaue Datum lässt sich nicht feststellen, traf Ph. F. Reemtsma das erste Mal mit Hermann Göring zusammen. Kurze Zeit nach dieser Begegnung war der Name Reemtsma aus der »Korruptionsliste« der Reichsregierung gestrichen.

Gleichzeitig leistete der Magnat einen ersten Betrag von vier Millionen RM zur Finanzierung von eigenen Projekten des Herrn Feldmarschall Hermann Göring. Dieser großen Summe folgten Beträge von einer Million RM jährlich. 1934 war Ph. F. Reemtsma im Aufsichtsrat der Deutschen Bank, später in gleicher Funktion bei der Vereinigten Glanzstoff tätig. 1938 erhielt er den Titel »Wehrwirtschaftsführer« verliehen.

Wie Sammler Hermann F. Reemtsma mit der »entarteten Kunst« und seiner engen Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten und seinem Tabakkonzern leben konnte, bleibt offen. Hermann F. Reemtsma hat alle Ernst-Barlach-Werke - auch den »Fries der Lauschenden« -, die er nach und nach vom Künstler in Güstrow direkt erworben oder in späteren Jahren ersteigert hat, seiner Stiftung vermacht. Damit besitzt das Museum in Klein Flottbek eine der bedeutendsten Sammlungen von Skulpturen, Zeichnungen und druckgrafischen Blätter Ernst Barlachs.


Drei Blätter Kriegszeit - von Ernst Barlach gestaltet

Untrennbar ist Barlachs literarische Arbeit mit seinem Gesamtwerk verbunden. So erscheinen die berühmten Holzskulpturen, wie es der Künstler 1924 notierte, als »Kunst-Menschen«, die Handpuppen oder Marionetten, die vergleichbar auf den Bühnen von Museen, Galerien oder Privatsammlungen auftreten. Seine Theaterstücke wie «Der arme Vetter», «Die gute Zeit», erwähnt werden muss auch das Stück «Der tote Tag» mit der Fülle an grotesken Gestalten und ihren karnevalesken Wortschöpfungen, lassen Körperlichkeit wie Innenleben greifbarer werden. Programmatisch heißt es 1926 im «Der Blaue Boll» - «Werden, das ist die Losung!«.


Von Ernst Barlach geschnitze berühmte Marionetten

Zu erwähnen ist die erste umfassende Ernst Barlach Biografie von Gunnar Decker, 2016 mit dem Heinrich Mann Preis ausgezeichnet. Der Titel: «Ernst Barlach – Der Schwebende» im Siedler Verlag in der Verlagsgruppe Random House München am 18. November 2019 erschienen.
khw

Bis zum 22. März 2020 Ernst Barlach Haus - Baron Voght Straße 50a - 22609 Hamburg
Täglich von Dienstag bis Sonntag (an Feiertagen auch am Montag) von 11-18 Uhr
Eintritt: 7 Euro, ermäßigt 5 Euro - Kinder u. Jugendliche bis 18 Jahre frei