12.04.2023
|
|
Hans Woller: JAGDSZENEN AUS NIEDERTHANN – EIN LEHRSTÜCK ÜBER RASSISMUS
|
Der Autor Hans Woller ist am 22. Februar 1952 in Aldersbach, einer Gemeinde im Landkreis Passau, geboren. Als Historiker forscht er vor allem über Themen der deutschen und italienischen Zeitgeschichte. Seine 2010 erschienene «Geschichte im 20. Jahrhundert» ist eines der Standardwerke, dazu gehört auch seine Mussolini-Biografie, in der er Nachweis führt, dass der Duce ein überzeugter Antisemit war. Über den Fußballer Gerd Müller verfasste Woller 2019 eine Biografie, die große Beachtung fand.
In seinem jüngsten Buch beschreibt er einen Fall von Rassismus in Bayern. Der Fall ereignet sich am 5. November 1972 in dem Dorf Schweitenkirchen-Niederthann im Landkreis Pfaffenhofen an der Ilm. An diesem Sonntag versuchten fünf junge Romnija im Alter von elf bis achtzehn Jahren beim Bauern Franz Goldbrunner Lebensmittel einzukaufen. Dazu betreten sie auch den Hof von Goldbrunner in Niederthann. Das sieht der 38-jährige Bauer Goldbrunner, der nimmt sein halbautomatisches Kleinkalibergewehr und schießt vom Flur aus von hinten auf die Mädchen. Durch die Schüsse – der Schütze leert das gesamte Magazin, stirbt die 18-jährige Anka Denisov sofort. Die 16-jährige Milena Ivanov ist schwer verletzt. Die benachrichtigte bayerische Landpolizei nahm nicht den Täter fest, verhaftete die schwerverletzte Milena Ivanov und zwei der drei unverletzten überlebenden Opfer, sie kommen in Untersuchungshaft. Der Gruppenleiter der bayerischen Polizeistation Pfaffenhofen stellt wegen einer angeblich drohenden Gefahr von Blutrache den Hof von Goldbrunner unter Polizeischutz.
Erst nachdem die Opfer den Münchner Strafverteidiger Rolf Bossi beauftragen, ändert sich das. Die Mädchen werden aus der Untersuchungshaft entlassen, der Schütze Franz Goldbrunner kommt in Haft. In einem Zeitungsinterview sagt Bossi: «Im Landkreis Pfaffenhofen gab es hat keinen Landrat, Bürgermeister und Pfarrer, der irgendwie geholfen hat.»
Die Einwohner im Dorf solidarisieren sich weiter mit dem Täter. In der Kneipe heißt es: „Wir stehen alle treu zu Goldbrunner“. Ein Bauer: wird noch deutlicher: „Der Landrat soll uns Maschinengewehre geben, dann jagen wir die Brut zum Teufel.“
Zwei Jahre später, im März 1974 endlich der Prozess gegen Franz Goldbrunner vor dem Schwurgericht München II wegen Totschlags und versuchtem Totschlag. Der Staatsanwalt fordert 9 Jahre Haft, das Gericht verurteilt den Schützen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Nach Verkündung des Urteils werden die Richter wie der Staatsanwalt mit Briefen bedroht.
Der Bürgermeister von Schweitenkirchen-Niederthann Max Elfinger startet gemeinsam mit dem Landrat Traugott Scherg in der lokalen Zeitung „Ilmgau-Kurier“ einen Spendenaufruf für die Familie des Täters in dem es heißt: „Das harte Urteil des Schwurgerichts, das einen angesehenen und beliebten Mitbürger sieben Jahre seines Lebens hinter Zuchthausmauer verbringen soll, ist für uns alle unfassbar.“ Auf einen „Bunten Abend“ der dörflichen Laienspielgruppe werden die Spenden gesammelt. Auf die Frage eines Magazins aus Hamburg, ob es reicht, antwortet der Bürgermeister Elfinger: „Mei, da ist schon viel eingegangen.“
Hans Woller stellt fest, dass sich doch einiges geändert hat: «Niederthann ist noch näher an die Kreisstadt Pfaffenhofen herangerückt, die sich ihrerseits zu einem modernen urbanen Zentrum gemausert hat und 2013 nicht umsonst zu Deutschlands nachhaltiger Kleinstadt gewählt wurde; an ihrer Spitze steht ein sozialdemokratischer Bürgermeister, der von einer bunten Rathauskoalition getragen wird.»
Ob damit nun mit dem Rassismus vorbei ist – da habe ich meine Zweifel. – Ein lesenswertes Buch, gerade in dieser Zeit.
khw
HANS WOLLER: JAGDSZENEN AUS NIEDERTHANN
EIN LEHRSTÜCK ÜBER FASCHISMUS
Verlag C. H. Beck, München 2022
256 – Seiten – 26,00 EUR
|
|
|
|
|