23.04.2023
Ingke Brodersen: Lebewohl, Martha – Die Geschichte der jüdischen Bewohner meines Hauses

Die Autorin Ingke Brodersen ist Historikerin, war Herausgeberin der politischen Buchreihe von rororo aktuell und leitete den Verlag Rowohlt Berlin. Für das Goethe-Institut gab sie eine mehrsprachige Zeitschrift heraus, führte an Berliner Brennpunktschulen mehrere Jahre Demokratie- und Kommunikationstraining durch, unterstützte auch Flüchtlinge bei der Integration. Im Klappentext heißt es: «Hanns-Stephan ist zwölf, als er 1939 in London Liverpool Street allein auf dem Bahnsteig steht. Seinen Mördern entkommt er mit einem Kindertransport. Seine Mutter stirbt im Bombenhagel. Sein Vater Siegfried Jacob taucht in Berlin unter und überlebt. Im gehört das Haus, das die Nazis zum Judenhaus machten: Hier wurden enteignete Juden vor ihrer Deportation zwangseingewiesen.»

Anfang der 1990er Jahre zieht Ingke Brodersen in Berlin den vierten Stock des Hauses Berchtesgadener Straße 37 ein. Noch weiß sie nichts von der Geschichte des Hauses und seiner Bewohner. Erst Jahre später beginnt sie, die Geschichte seiner Bewohner zu recherchieren.

Ihr Buch erzählt von vierundzwanzig Bewohnern des Hauses im Bayerischen Viertel in Berlin, die 1942 deportiert werden. Der Rechtsanwalt Siegfried Kurt Jacob kaufte das Haus in der Berchtesgadener Straße 37, wenige Jahre bevor die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übernahmen. Er vermietete die Wohnungen an Juden wie Nichtjuden. Das Judentum spielte in dem Viertel keine Rolle. Dies änderte sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933, auf einmal bekam Siegfried Jacob sein rassisches Merkmal, damit durfte er nicht mehr als Rechtsanwalt arbeiten.

Das Buch über die Bewohner des Hauses Berchtesgadener Straße 37 ist deutsche Geschichte, so wie hier geschah es überall in Deutschland. Nach 1945 gab es die Fortsetzung in den Prozessen zur Wiedergutmachung des Unrechts. Aber sollten diese nicht besser Entschädigungsverfahren genannt werden? In den Prozessen gab es für die Klagenden häufig keine Wiedergutmachung.

Am Ende des Bandes erfährt der Leser, was aus den Bewohnern des Hauses wurde, auch von der verwitweten Pianistin Martha Cohen, die dem Buch den Titel gab. Am 1. September 1942 wird sie nach Theresienstadt deportiert. Die Geschichte des Hauses ist ein empfehlenswertes Buch.
khw


Ingke Brodersen: Lebewohl, Martha
Die Geschichten der jüdischen Bewohner meines Hauses

Kanon Verlag, Berlin2023
288 Seiten – 26,00 EUR