23.02.2023
Elfriede Jelinek: ANGABE DER PERSON

Die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek wurde am 20. Oktober 1946, Mürzzuschlag/Steiermark geboren. Ihr Vater war tschechisch-jüdischer Herkunft, überlebte den Holocaust, da er als Chemiker mit kriegswichtigen Forschungsaufgaben betraut war. Die Mutter kam aus einer wohlhabenden Wiener Familie, hier wuchs Elfriede auf und ging zur Schule. Frühzeitig bekam sie Musikunterricht für Klavier, Orgel und Blockflöte, studierte am Wiener Konservatorium auch Kompositionslehre. Nach ihrem Abitur – in Österreich Matura – am Alberts-Gymnasium 1964 studierte sie an der Universität Wien Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte. Ihr Musikstudium setzte sie fort und legte 1971 ihr Examen als Organistin am Wiener Konservatorium ab.

1967 begann Elfriede Jelinek zu schreiben, debütierte mit der Gedichtsammlung „Lis Schatten“. Nach ihrem Kontakt zur Studentenbewegung begann sie gesellschaftskritisch zu schreiben. Sie war auch Übersetzerin, schrieb Film-Drehbücher und hat ein Opernlibretto verfasst. Sie hat sich als unerschrockene Kritikerin der Gesellschaft einen Namen gemacht.

Nach einigen Jahren in Berlin und Rom heiratet Elfriede Jelinek am 12. Juni 1974 Gottfried Hüngsberg, der zu dieser Zeit Filmmusik für Rainer Werner Fassbinder schreibt. Seitdem lebt sie heute in Wien und München. Im Jahr 2004 wurde Elfriede Jelinek in Stockholm der Nobelpreis für Literatur verliehen.

Elfriede Jelineks «ANGABE DER PERSON» ist die jüngste Veröffentlichung. Da sie in den Verdacht eines Steuerbetrugs geraten war, schrieb sie eine Philippika. Die Autorin nimmt das steuerliche Ermittlungsverfahren, obwohl längst eingestellt, zum Anlass auf ihren Lebenslauf zurückzublicken. Es ist das erste Mal, dass sie über den jüdischen Teil ihrer Familie erzählt. In ihren eigenen Angaben zur Person schieben sich immer wieder Berichte über das Schicksal von Verwandten, die aus Österreich fliehen mussten, die deportiert und ermordet wurden. Sie stellt Fragen zu den globalen Finanzströmen, wer und wie profitieren heute von den Enteigneten jüdischer Vermögen, auch wie viele NS-Größen nach1945 anstandslos entschädigt wurden.

Über die Schweiz schreibt sie: «Nein, mit der Schweiz dürfen Sie sich nicht anlegen, außer Sie sind ganz Amerika, dann dürfen Sie alles. Wenn Sie die amerikanische Steuer vertreten, dann ist alles erlaubt, auch das Steuer zu verreißen und noch die paar Ratten, die kaum mehr gehen können, plattzumachen. Wer sich auch nur kurz hinlegt, stünde schon mit nichts aus dem Nichts wieder auf und wäre fassungslos, weil ihm ein Stein aus der Krone gebrochen wäre und weil die Staatsverschuldung hier so gering ist, wie freut ihn das! Und daher auch keine Verschuldungsprobleme parteiübergreifend zu lösen sind, sondern ausschließlich auf seinem Rücken ausgetragen werden. So spricht der rechte Bürger und sieht einen freisinnigen Bürgersinn darin, welcher ihn anstarrt wie das tote Tier vorhin ihn, als es noch gelebt hat.

Das Bezahlen, leider manchmal nötig, ich führe es auf Umwegen ins Unwegsame. Das Bankgeheimnis, ich erkläre es für abgeschafft. Mein eigen Phone benütze ich nicht, niemals, doch es will unbedingt mich, ausgerechnet mich, zum Zahlen benützen, die Bezahlverfahren treten sich schon gegenseitig auf die Zehen. Einer will schneller als der andre beim Herrchen sein und den Ball dem Herren hinspucken, der wird schon wissen, was er damit macht. Die Leute schauen ja alle Pornos und spielen Glück. Und genau dort, wo es so schön ist, hat sich die Bezahlfirma festgesetzt und begonnen, die Börsenleiter hochzusteigen, um sich auch den Himmel zu erschließen. Es muss nicht immer Geld fehlen. Es kann auch Geld, das es nie gab, fehlen. Wo the fuck ist jetzt diese Milliarde, wo ist ihr Schwesterchen, die zweite Milliarde, welche auf den Philippinen aufgeschienen ist, bis die Nacht hereinbrach? Hauptsache, der Staat weiß, dass er Sie endlich aus dem Zahlungsverkehr ziehen möchte, lieber heute als morgen.»

Ein autobiografisches Buch, in dem Jelinek häufig sarkastische und kompromisslos mit der Gesellschaft abrechnet. Für sie ist die Welt voll von kleinen und großen Schweinereien – da zieht sie Bilanz zu Boris Becker, zu Franz Beckenbauer, dem Kunsthändler Cornelius Zuritt und zu den Cum und Ex-Geschäften, zu den Steuerbetrügern von heute.
khw


Elfriede Jelinek: ANGABE DER PERSON

Rowohlt Verlag, Hamburg 2022
189 Seiten – 24,00 EUR