14.10.2021
RICHARD J. EVANS: Das Dritte Reich und seine Verschwörungstheorien
Wer sie in die Welt gesetzt hat und wem sie nutzen – Von den »Protokollen der Weisen von Zion« bis zu Hitlers Flucht aus dem Bunker

Der Autor Richard John Evans wurde am 29. September 1947 in Woodford Green, das heute zu London gehört, geboren. Nach seinem Studium der Geschichte wurde Evans 1972 am St Anthony's College der Universität Oxford promoviert. Danach war er Lehrer an der schottischen University of Stirling, wechsele an die englische University of East Anglia und lehrte hier als Professor Europäische Geschichte. Ab 1983 bis 1998 Professor an der University of London, seitdem ist er Professor an der Universität Cambridge und lehrt Moderne Geschichte.

Im Vorwort schreibt Evans: »Die Vorstellung, dass nichts in der Geschichte zufällig geschieht, dass nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheint, dass alles, was vor sich geht, das Ergebnis geheimer Machenschaften böswilliger Gruppen ist, die hinter den Kulissen die Geschehnisse manipulieren. Diese Vorstellung ist so alt wie die Geschichte selbst. Dennoch ist die Meinung weit verbreitet, dass Verschwörungstheorien im 21. Jahrhundert, vom Aufstieg des Internets und der sozialen Medien befördert, populärer und weiter verbreitet seien als jemals zuvor, zumal der Einfluss der traditionellen Hüter der Meinungszirkulation wie Zeitungsredaktionen und Buchverlage schwindet und die in dem verkehrten Begriff der »alternativen Fakten« aufgehobene Unsicherheit gegenüber dem, was wahr oder falsch ist, allgemein zunimmt.«

In fünf Kapiteln, von „Waren die Protokolle eine »Vollmacht für Völkermorde«?“, die Dolchstoßlegende von 1918, der Reichstagsbrand 1933, 1941 Rudolf Heß Flug nach Großbritannien bis entkam im April 1945 Hitler dem Bunker? Die Protokolle der Weisen von Zion, ein Pamphlet aus dem frühen 20. Jahrhundert ist vielleicht die berüchtigtste Publikation aller Zeiten. Die Hetzschrift half eine Stimmung zu schaffen für den Mythos einer jüdischen Weltverschwörung, damit den Antisemitismus in die gewünschte Richtung noch immer lenkt. Ähnlich verhält es sich mit der Dolchstoßlegende von 1918. Die richtete sich gegen die Sozialisten und Revolutionäre, die den Kaiser im November 1918 stürzten und mit Hilfe liberaler Parlamentarier die Weimarer Republik gründeten. Eindeutig ist die Dolchstoßlegende der Kampf der Monarchisten und Konservativen gegen die Republik.

Nicht wesentlich anders verhält es sich mit dem Reichstagsbrand in Berlin in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933, der auf Brandstiftung beruht. Die politische Folge war die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, damit wurden die Grundrechte der Weimarer Verfassung de facto außer Kraft gesetzt. Es war die entscheidende Etappe in Richtung der nationalsozialistischen Diktatur. Es war der Weg für eine legalisierte Verfolgung der politischen Gegner der NSDAP durch Polizei und SA. In den nächsten Tagen und Wochen kam es zu Massenverhaftungen von Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, die in notdürftig errichteten Lagern untergebracht wurden. Der am Tatort festgenommene und geistig verwirrte Marius van der Lubbe, der angab, der alleinige Brandstifter zu sein, wurde nach seinem Prozess am Reichsgericht in Leipzig zum Tode verurteilt, starb hier am 10. Januar 1934. Bis heute ist nicht schlüssig belegt, wer den Reichstag angesteckt hat.

Auch warum Rudolf Heß gegen 18 Uhr am 10. Mai 1941 vom Werkflugplatz der Messerschmitt AG in Haunstetten bei Augstein mit einer Messerschmitt Bf 110 E-1/N nach Schottland flog, um in Dungavel Castle mit Douglas Douglas-Hamilton, dem Führer der britischen Friedensbewegung und Gegner von Premierminister Winston Churchill, über einen Frieden zu verhandeln, sind die Hintergründe noch nicht geklärt. Hier blühen die wilden Theorien, daran beteiligte sich auch Heß Sohn Wolf Rüdiger. Am 9. November 1923 nahm Heß am Putsch teil, wurde zu achtzehn Monaten Festungshaft verurteilt. Wie Hitler verbüßte er seine Strafe in der Festung Landsberg. Er wurde Hitlers Privatsekretär, der diktierte ihm Teile des seines Buches „Mein Kampf“. Hitler war bei der Hochzeit sein Trauzeuge. Das Parteiorgan der Völkische Beobachter schenkte ihm ein Flugzeug. Im Januar 1933 machte ihn Hitler zu seinem Stellvertreter. Der vom Fanatismus voller Bewunderung rief nach Hitlers Rede so auf dem Parteitag 1934: »Die Partei ist Hitler! Hitler aber ist Deutschland, wie Deutschland Hitler ist! Hitler, Sieg heil! Sieg heil!« Nach 1936 hatte Hitlers Stellvertreter nur noch repräsentative Aufgaben.

Mit Kriegsbeginn ernennt Hitler Hermann Göring zu seinem Nachfolger, damit ist Heß nur noch der Dritte in der Rangfolge. Warum der Mann gen England flog, ist noch ungeklärt, somit geistern noch immer zahlreiche Theorien auch im Internet.

Hitler entkam nicht dem Bunker der Reichskanzlei. Am 25. Oktober 1956 stellt das Amtsgericht Berchtesgaden fest, dass Adolf Hitler, geboren am 20. April 1889 in Braunau am Inn, tot ist. Als Zeitpunkt seines Ablebens wird der 30. April 1945, 15.30 Uhr festgestellt. Das Amtsgericht, gez. Dr. Stephanus, beglaubigt durch die stellvertretende Urkundsbeamtin Wellert der Geschäftsstelle des Amtsgerichts. Nun sollte man meinen, damit hätten die Verschwörungstheorien über Hitlers angebliches Überleben nach 1945 ein Ende. Leider nicht, noch immer geistern Theorien mündlich oder neu übers Internet durch die Welt. Mit seinem lesenswerten Band „Das Dritte Reich und seine Verschwörungstheorien“ klärt Richard J. Evans auf.
khw


RICHARD J. EVANS:
Das Dritte Reich und seine Verschwörungstheorien
Wer sie in die Welt gesetzt hat und wem sie nutzen
Von den »Protokollen der Weisen von Zion« bis zu Hitlers Flucht
aus dem Bunker

Deutsche Verlags-Anstalt in der Penguin Random House Verlagsgruppe, München 2021
367 Seiten - 26,00 EUR