07.09.2021
Anna Haag: »Denken ist heute überhaupt nicht mehr Mode« – Tagebuch 1940-1945

Anna Haag wurde am 10. Juli 1888 in Althütte im Rems-Mur-Kreis geboren. Die Frau war eine Schriftstellerin, Pazifistin und eine sozialdemokratische Politikerin, starb am 20.Januar 1982 in Stuttgart. Sie heiratet 1909 Albert Haag, die Familie zieht nach Schlesien, wo der Mann in Lähn, später in Treptow in Pommern als Lehrer tätig ist. Von dort geht es 1912 nach Bukarest. Hier beginnt Anna Haag für Zeitungen zu schreiben. Während des Ersten Weltkriegs wird Albert Haag in Rumänien interniert. Danach kehrt die Familie zurrück nach Nürtingen in Württemberg. Albert Haag unterrichtet als Mathematiklehrer, Anna Haag beginnt Romane zu schreiben. Ab 1926 lebt die Familie wieder in Stuttgart. Während des Nationalsozialismus wird Albert Haag wegen seiner pazifistischen Äußerungen strafversetzt, seine Frau, wegen ihres Engagements für die 1933 verbotene »Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit« Publikationsverbot.

Im Mai 1940 beginnt Anna Haag ihr schonungslos offenes regimekritisches Tagebuch, das sie bis zum 8. Mai 1945 im Kohlenkeller versteckt. Sie hört genau hin, was die Nachbarn, die Fahrgäste in der Straßenbahn, in den Geschäften, der Post und den Behörden erzählen. Das hält sie fest in ihrem Tagebuch. Auch was die Deutschen über die Verbrechen gegen die Juden und Konzentrationslager wissen und den weiteren Verbrechen der Nationalsozialisten und ihrer Paladine. Heimlich hört sie Hörerin desn englischen BBC, der über das, was die Nazis in Europa mit ihrem Krieg anrichten, berichtet.

Das Tagebuch von Anna Haag beginnt am 11. Mai 1940 mit »Wozu wohl ein Mozart, ein Beethoven, ein Goethe gelebt und ihre Werke geschaffen haben, wenn wir Heutigen nichts anderes wissen als töten und zerstören?« Anna Haag erzählt ungeschminkt die Geschichte des Alltags in und um Stuttgart, das kommentiert sie aus einer demokratischen Sicht in dem Tagebuch.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs erstellt Anna Haag gemeinsam mit ihrem Mann im Sommer 1945 eine 500-seitige Auswahl der Einträge der insgesamt 20 Tagebuchheften, das als Buchmanuskript. Für eine Veröffentlichung des Tagebuchs besteht ein Desinteresse der Verleger. Das trift sie tief, verschiebt alle weiteren Versuche einen Verleger zu finden auf später. Dafür beginnt bei Anna Haag die politische Karriere, 1946 ist sie mit eine der ersten Frauen im baden-württembergischen Landtag als Abgeordnete der SPD. Erst Jahre später, 2021 erscheint Anna Haags Tagebuch der Jahre 1940 bis 1945. Lesenswert.
khw


Anna Haag: »Denken ist heute überhaupt nicht mehr Mode«
Tagebuch 1940-1945

Reclam Verlag, Stuttgart 2021
448 Seiten - illustriert - 35,00 EUR