04.11.2020
NINA GLADITZ: LENI RIEFENSTAHL – Karriere einer Täterin

Wie ihr Bruder Peter Krieg, einer der visionären bundesdeutschen Dokumentarfilmer (1947-2009) arbeitete auch seine Schwester Nina Gladitz als Dokumentarfilmerin. Mit der Filmkamera begann sie 1975 aktiv am Kampf um das Kernkraftwerk Wyhl in Baden-Württemberg. Für den WDR dokumentierte sie 1982 die Entstehungsgeschichte um den Spielfilm von Leni Riefenstahl »Tiefland«. Hier richtete Nina Gladitz den Aspekt auf das Schicksal der rund hundert als Komparsen im Spielfilm eingesetzten Sinti und Roma. Leni Riefenstahl verklagte die Dokumentarfilmerin, wollte gerichtlich mehrere Streichungen durchsetzen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe wies die Klage von Riefenstahl in drei Punkten ab, gab in einem Punkt statt. Obwohl Riefenstahl im Gerichtsverfahren unterlag, erklärte sie sich immer wieder zur Siegerin des Prozesses.

Mit ihrem Buch »Leni Riefenstahl – Karriere einer Täterin« legt Nina Gladitz noch einmal nach, zeigt dass die Regisseurin Riefenstahl eine überzeugte Parteigängerin Adolf Hitlers war. Über die im Jahre 2003 im Alter von 101 Jahre verstorbene Filmregisseurin und Fotografin gibt es Dinge aus ihrem Leben von 1933 bis 1945, die heute anders gewertet werden müssen. So begann sie gleich nach dem Zusammenbruch des »Tausendjährigen Reich« an ihrem Mythos zu stricken. Vor dem Dokumentarfilm »Triumpf des Willens« über den Reichsparteitag 1934 in Nürnberg hat sie im Goebbels Auftrag den ersten Parteitagsfilm der NSDAP mit dem Titel »Sieg des Glaubens« 1933 gedreht. Ihre zweiteiligen Olympia-Filme 1936 »Fest der Völker« und »Fest der Schönheit« waren Propagandafilme der NSDAP. Die Arbeit der Regisseurin Leni Riefenstahl bekam Förderung von Hitler, Goebbels und Himmler. Keine Protagonistin des NS-System?

Ein besonderes Kapitel des Riefenstahl-Œuvres ist der Spielfilm »Tiefland« nach der gleichnamigen Oper aus dem Jahr 1903 von Eugen d'Albert und Rudolf Lothar. Leni Riefenstahl war in Personalunion Produzentin, Hauptdarstellerin und Regisseurin. Die Dreharbeiten begannen am 1. August 1940 nahe Mittenwald, in Maxglan bei Salzburg, in Krün bei Garmisch-Patenkirchen 1942 in den Dolomiten. 1944 wurde in den Barrandov-Ateliers in Prag gedreht. Da Spanier für den Film nicht zur Verfügung standen, rekrutierte die Regisseurin aus NS-Zwangslager Maxglan im Salzburger Stadtteil Leopoldskron-Moos 53 Roma und Sinti als Komparsen. Davon waren 35 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Von den 53 Komparsen wurden mehr als 40 Roma und Sinti in Auschwitz ermordet. In ihrem WDR Film um das Schicksal der Sinti und Roma im Dritten Reich stellte Nina Gladitz damals diese Frage: »Ist es legitim, um der Kunst willen, die Schlachthäuser eines barbarischen Systems zu künstlerischen Zwecken zu benutzen?« Im NS-Spruchkammerverfahren wurde Riefenstahl nach 1947 nur als »Mitläuferin« eingestuft. - Der Film »Tiefland« kam erst 1954 in die Kinos, in der Kritik heißt es u.a. »Einer der vielen Mängel: Regisseurin, Autorin und Produzentin Leni Riefenstahl deplatziert sich in der weiblichen Hauptrolle.«

Wie Leni Riefenstahl mit ihrem langjährigen Kameramann Willy Zielke umgeht, zeigt eine weitere Seite ihres »Ich« der Nazi-Regisseurin. Da Willy Zielke nicht so will wie Frau Riefenstahl, er verweigert sich, lässt sie den Mann entmündigen und in eine Heil- und Pflegeanstalt einweisen. Ein letztes Mal ist Zielke noch ihr Kameramann beim Spielfilm »Tiefland«, danach ist er wieder, nun Entmündigt, in einer Heil- und Pflegeanstalt. Später wird Zielke für diese Jahre 5.000 DM Entschädigung erhalten. Leni Riefenstahlt schmückt sich später in Bildbände mit Willy Zielkes Fotos als Urheberin.

Über Alice Schwarzer schreibt Nina Gladitz: »Immer wenn es um »bedrängte« Frauen als Opfer geht, warf sich Alice Schwarzer zu Beginn des Prozesses von 1984 in ihrer Zeitschrift Emma natürlich für die von »Zigeunern« verfolgte Leni Riefenstahl in die Bresche. Immerhin hatten in meinem Film und als Zeugen vor Gericht eine Handvoll echte Opfer, nämlich KZ- Überlebende, zum ersten Mal in ihrem Leben über Riefenstahls Täterkarriere öffentlich gesprochen. Aber Schwarzer fiel nichts Besseres dazu ein, als den »Dahergelaufenen« vorzuwerfen, sie würden eine »Hexenjagd« auf ihre einstige Ausbeuterin veranstalten.«

Ebenso klagt zu Gunsten von Riefenstahl auch die Filmemacherin Helma Sanders-Brahms. Erschreckend was Nina Gladitz über Leni Riefenstahl über die Karriere der gnadenlosen Täterin zusammengetragen hat. Damit hört wohl endlich Weißwäscherei von Leni Riefenstahl auf. Empfehlenswert.
khw


NINA GLADITZ: LENI RIEFENSTAHL – Karriere einer Täterin

Orell Füssli Verlag, Zürich 2020
427 Seiten - zahlreiche sw-Fotos- 25,00 EUR