10.11.2020
Victor Klemperer: LICHT UND SCHATTEN – KINOTAGEBUCH 1929 - 1945

Victor Klemperers »LTI« (Lingua Tertii Imperii - Sprache des Dritten Reichs) und seine Tagebücher aus den Jahren 1933 bis 1945 machten ihn posthum zum wichtigsten Chronisten deutscher Geschichte. Geboren wurde er 1881 als Sohn eines Rabbiners am 9. Oktober 1881 in Landsberg an der Warthe, studierte in München, Genf, Paris und Berlin Philosophie, Romanistik und Germanistik. Im Jahr 1912 konvertierte er zum Protestantismus, promovierte über die Zeitromane Friedrich Spielhagens, zwei Jahre später die Habilitation bei Karl Vossler mit Arbeit über Montesquieu. Nach seiner Teilnahme als Kriegsteilnehmer am Ersten Weltkrieg, war er Privatdozent in München, 1920 dann Professor an der TH Dresden.

Im Elbflorenz, wenn auch nicht sofort entdeckt er gemeinsam mit seiner Ehefrau Eva, sie ist Konzertpianistin und Malerin, das Kino. Ab 1928 führt Klemperer Tagebuch über seine Filmerfahrungen, dann kommt 1938 das Verbot, er darf kein Kino mehr betreten. Das gehörte zu den insgesamt 2000 perfiden Verordnungen und Gesetze der Nationalsozialisten, die das »Leben der Juden im Reich zur Hölle machten.«

Victor Klemperer hatte bereits in den Anfangsjahren des Kinos, das als eine Kunstform begriffen, als das Bildungsbürgertum in der Kinomategrafie nur eine Jahrmarktattraktion sah. Bereits sehr früh kam von Klemperer eine Liebeserklärung, als das Kino als Kunst sich noch im Werden befand. Über die Jahre von 1929 bis zum Zutrittsverbot 1938 schreibt Klemperer mehr als 100 Filmbesprechungen, die den Mann als Filmchronisten auszeichnen, ein Bild über jene Kinojahre vermitteln.

Der Filmjournalist Knut Elstermann schreibt in seiner Einführung „Klemperer im Kino“: »Klemperers Urteil ist unbestechlich, er fordert auch von den Unterhaltungsfilmen beste Qualität und lässt den Schauspielern nichts durchgehen, keine Ungenauigkeit, keine Schludrigkeit. Die Präzision seiner Beobachtungen und Schilderungen ist für einen professionellen Filmjournalisten neiderregend, allein wie er mit wenigen Sätzen die Handlung, das Sujet eines Films anschaulich umreißen kann, erzeugt bei mir höchsten Respekt.«

Am 1. April 1945 setzt sich Klemperer in Falkenstein, nach dem Feuersturm über Dresden und der Flucht der Klemperers aus der Stadt, über das Nazi-Verbot hinweg, das Juden seit 1938 keine Kinos mehr getreten dürfen. Für die 14 Uhr Vorstellung in den »Lu-Li« (Lunalichtspiele) hat er zwei Karten für seine Frau Eva und sich und sie sehen »Wenn die Götter lieben« - eine mittelgute Schauspielkunst einer Mozart-Biografie. Nach dem Kinobesuch trinkt das Ehepaar in der »Wartburg« Kaffee.

Victor Klemperer Notizen im Kinotagebuch geben ein Gesamtbild vom Kino jener Jahre. Der Autor starb am 11. Februar 1960 in Dresden. Empfehlenswert.
khw


Victor Klemperer: LICHT UND SCHATTEN
KINOTAGEBUCH 1929 - 1945
Herausgeben von Nele Noldack und Christian Löser
Mit einem Vorwort von Knut Elsterman und Filmregister

Aufbau Verlag - Berlin 2020
363 Seiten - zahlreiche Fotos - 24,00 EUR