02.10.2020
Detlef Pollack: DAS UNZUFRIEDENE VOLK – Protest und Ressentiment in Ostdeutschland
von der friedlichen Revolution bis heute

Der Autor Detlef Pollack, am 23. Oktober 1955 in Weimar geboren, ist Religions- und Kultursoziologe, forscht über das Verhältnis von Religion und Moderne, über die Geschichte der DDR und über politische Kultur. An der Universität Münster ist er stellvertretender Sprecher des Exzellenzclusters »Religion und Politik«. In seinem Buch hinterfragt er den Protest und die Ressentiments in Ostdeutschland, das war einmal die DDR. Dazu schreibt Detlef Pollack: »Es verwundert daher nicht, dass nicht wenige dem Umbruch in der DDR diesen Ehrentitel verweigern. Statt von Revolution sprechen sie von Implosion, Zusammenbruch oder Kollaps. Henryk M. Broder spottet gar, die friedliche Revolution sei eine Stasi-Inszenierung gewesen, eine von oben geförderte sozialpolitische Maßnahme zur Liquidation der DDR. Selbst wo der Revolutionsbegriff Verwendung findet, wird sein Bedeutungsgehalt oft eingeschränkt. Jürgen Habermas bezeichnet den Umbruch in der DDR als »nachholende Revolution«, Claus Offe als »exit-Revolution«. »Nicht siegreicher kollektiver Kampf um eine neue politische Ordnung führte zum Ende des Staates der DDR, sondern die massenhafte und plötzlich nicht mehr aufhaltbare individuelle Abwanderung zerstörte seine ökonomische Basis.«

Gleichwohl soll hier die Auffassung vertreten werden, dass es sich bei den Umbruchsereignissen von 1989/90 in der DDR tatsächlich um eine Revolution gehandelt hat. Die friedliche Revolution in der DDR hat die Verhältnisse auf den Kopf gestellt, ein altes Staatswesen aufgelöst und in ihrem Ergebnis eine vollkommen neue politische, rechtliche, ökonomische und soziale Ordnung hervorgebracht. Die Frage, wie sie zustande kam, steht im Mittelpunkt des ersten Kapitels dieses schmalen Bandes. War für den revolutionären Umbruch in der DDR die Reformpolitik Gorbatschows und sein Verzicht auf eine gewaltsame Intervention im Falle von Unruhen ausschlaggebend oder der marode Zustand der DDR-Wirtschaft, die Demonstration der Massen auf der Straße, der mutige Protest der Bürgerrechtler oder die Tausende erfassende Ausreisewelle - oder alles zusammen?«

Nur Stimmt das so, wie Pollack es schreibt? Ich meine nein. Durch zwei Dingen wurde das Ende der DDR sehr schnell besiegelt: Am 1. Juli 1990 kam die D-Mark der Bundesrepublik als neues und einziges Zahlungsmittel auf das Gebiet der DDR; an diesem Tag wurden 8500 DDR Betriebe nach dem vom 17. Juni 1990 beschlossenen Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des Volksvermögens - Treuhandgesetzt – der Treuhandanstalt unterstellt. Das geschah in Verbindung mit dem Einigungsvertrag v. 18. Mai 1990. In den Betrieben arbeiteten damals vier Millionen Menschen.

So waren bereits vor der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 die entscheidenden Weichen gestellt. Auf einmal gab es Arbeitslose in der DDR, was man bis dato nicht kannte. Wen wundert es noch, wenn sich die ehemaligen Bürger der DDR im öffentlichen Diskurs gern als Opfer der deutschen Einheit darstellen. Das setzt sich auch in ihrem Wahlverhalten fort.

Waren es nicht auch Professoren aus dem Westen, die an den Hochschulen der ehemaligen DDR, die die politische und fachliche Überprüfung des Lehrkörpers vornahmen, dabei das gesamte akademische System umkrempelten? So kam über die Hochschulen und Universitäten der Ex-DDR die Westsicht. Fazit für mich - der ehemalige Osten blieb dabei auf der Strecke. Ob damit der 3. Oktober ein Grund zum Feiern ist, muss jeder selber entscheiden.

Die heutigen Schüler haben kein eigenes Wissen über die DDR, werden auch nicht über die Vergangenheit unterrichtet. So bleibt alles in der Schwebe - Vergangenheit und Zukunft.
Der Band regt endlich eine Diskussion an.
khw


Detlef Pollack: DAS UNZUFRIEDENE VOLK
Protest und Ressentiment in Ostdeutschland
von der friedlichen Revolution bis heute

transkript Verlag, Bielefeld 2020
231- Seiten - Broschur - 20,00 EUR