17.10.2020
Eva Weissweiler: DAS ECHO DEINER FRAGE
Dora und Walter Benjamin - Biographie einer Beziehung

Eva Weissweiler hat eine eindrucksvolle Biographie zweier Menschen geschrieben, die sich liebten, auch brauchten, die ohne einander nicht leben konnten, sich aber trotzdem trennten. Es ist eine mitreisende Biographie, wo nicht Walter, sondern Dora im Mittelpunkt steht. Die Ehe von Dora und Walter Benjamin ist von zahlreichen Affären und Trennungen geprägt. Aber Dora unterstützte ihren Ehemann materiell, gab auch den Philosophen vielfach seelischen Halt. Der Band rückt Dora aus dem Hintergrund vor. Sie waren dreizehn Jahre verheiratet, Dora ist auch die Mutter des gemeinsamen Sohnes Stefan.

Dora wird 1890 in Wien geboren, ist später als junge Frau attraktiv, gebildet und finanziell unabhängig, und das ist wohl nur in der kaiserlichen österreichischen Kaisermonarchie sehr emanzipiert. Wie Walter Benjamin so auch Dora entstammen dem traditionellen Judentum, das sich langsam lockerte. Die Welt von Dora Kellner in Wien ist nicht die Welt von Walter in Berlin.

Dass Dora Chemie und Philosophie studieren kann, ist dem Beginn der Frauenbewegung zu verdanken. Walter Benjamin heiratet sie 1917. Die Ehe ist geprägt ihrem Wunsch nach Selbstbestimmung. Es ist Doras journalistischen Arbeit, mit der sie das Leben der Familie finanziert. Auf Walters Betreiben lassen sie sich in einem schmutzigen Prozess scheiden. Eva Weissweiler schreibt: »Am 27. März 1930 verkündete die sechste Zivilkammer des Landgerichts III in Berlin die Scheidung der Ehe von Walter und Dora Sophie Benjamin. Das Ergebnis für Benjamin war vernichtend. Denn er, der Kläger, wurde für schuldig befunden und hatte sämtliche Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Dora hatte im Prozess vortragen lassen, es sei richtig, dass sie ein Liebesverhältnis mit Brieger unterhalte. Benjamin sei darüber jedoch im Bilde gewesen und habe es ausdrücklich geduldet. Er habe ihr seit Jahren jeden ehelichen Verkehr verweigert, seinerseits aber sexuelle Beziehungen zu anderen Frauen gehabt, besonders zu Asja Lacis und Olga Parem.

Benjamin bestritt, jemals mit einer der beiden Frauen verkehrt zu haben. Er bestritt ferner, Dora dazu ermutigt zu haben, »sich auf sexuellem Gebiet nach freiem Gutdünken zu betätigen«.
Das Gerichtglaubte ihm jedoch nicht, zumal Dora schriftliche Gegenbeweise erbringen konnte, so etwa Briefe, in denen er seine »laxe Auffassung vom Wesen der Ehe« darlegte. Als besonders schwerwiegend wurde angesehen, dass er eines seiner Bücher, die »Einbahnstraße«, explizit Asja Lacis gewidmet habe. Er habe auch keine Bedenken gehabt, sich »trotz Kenntnis der ehewidrigen Beziehungen zwischen Brieger und der Beklagten« von Dora unterhalten zu lassen und sie sogar aufzufordern, »sich von Brieger Geld zu borgen«, falls ihre eigenen Mittel erschöpft seien. Er selbst habe noch nach Erhebung der Scheidungsklage wiederholt Damenbesuche auf seinem Zimmer empfangen, mit Olga Parem verschiedene Kinos und Restaurants besucht und mit Asjy Lacis in Bad Königstein, Pension Quisisana, logiert.« Eine ganz normale Scheidung. War nun Walter ein gefühlskalter Eigenbrötler?

Häufig treffen sie sich in San Remo, 1939 zieht sie nach London, nennt sie sich nun Dora Sophie Morser. Im April 1941 erhält sie die Nachricht, dass Walter Benjamin sich am 26. September 1940 im spanischen Grenzort Portbou mit einer Überdosis Morphium umgebracht hat, das obwohl er ein amerikanisches Visum hat.
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khw


Eva Weissweiler: DAS ECHO DEINER FRAGE
Dora und Walter Benjamin - Biographie einer Beziehung

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2020
364 Seiten – einige Fotos – 24,00 EUR