17.09.2020
Peter Suhrkamp: Über das Verhalten in der Gefahr – Essays

Der Autor »Über das Verhalten in der Gefahr« Peter Suhrkamp war wohl einer der interessanten Verleger in der Bundesrepublik. Am 28. März 1891 als Sohn eines Landwirtes und Tischlers in Kirchhatten bei Oldenburg geboren, war als Hoferbe vorgesehen. Der Vater lehnte den Berufswunsch Lehrer ab, heimlich hatte er Geigenunterricht, da die Voraussetzung zur Aufnahme in das Evangelische Lehrerseminar Oldenburg ein Musikinstrument zu spielen sei. Zur Aufnahmeprüfung riss der Junge für drei Tage von zu Hause aus. 1905, gerade vierzehnjährig, ist er am Lehrerseminar in Oldenburg, das ist gleichzeitig seine Emanzipation vom Elternhaus. Da er von den Eltern nicht unterstützt wird, arbeitet er als Kopist für einen Notar, dann als Hilfslehrer. Später wechselt er nach Bremen in den Schuldienst, legt auch hier seine zweite Lehrerprüfung ab. Der Erste Weltkrieg verhindert ein Germanistikstudium in Berlin, er meldet sich als Kriegsfreiwilliger. Nach seinen Erlebnissen an der Front erlitt er einen Nervenzusammenbruch, verbringt die letzten Kriegsmonate in einer psychiatrischen Anstalt. Nach dem Krieg studiert er Germanistik in Heidelberg, Frankfurt/Main und München, arbeitet 1919 einige Monate an der Odenwaldschule und Freien Schulgemeinde Wickersdorf. Von 1921 bis 1925 war er Dramaturg und Regisseur am Landestheater Darmstadt. Ab 1929 gibt Suhrkamp den Lehrerberuf auf, zieht nach Berlin, wird freier Mitarbeiter des »Berliner Tageblatts« und des im Verlag Ullstein produzierten Monatsmagazin »Uhu«. Ab 1932 ist Suhrkamp Mitarbeiter des S. Fischer Verlags als Herausgeber der Literaturzeitschrift »Die Neue Rundschau« , ab 1933 gehört er den Vorstand an. Suhrkamp kauft 1936 den Teil des Verlages, den Gottfried Bermann Fischer nicht mit ins Exil nach Wien transferieren kann. Auf Druck der Nationalsozialisten muss der Verlag 1942 erst in »Suhrkamp Verlag vorm. S. Fischer«, dann in »Suhrkamp Verlag« umbenannt werden. Im Frühjahr 1944 wird Suhrkamp wegen des dringenden Verdachts der Vorbereitung zum »Hoch- und Landesverrat« von der Gestapo verhaftet. Ein Jahr zuvor hatte die Gestapo einen Spitzel eingeschleust, der der Gestapo berichtete, dass weiterhin Autoren wie Hermann Hesse, Otto Flake und Oskar Loerke verlegt, aber auch verdächtigte Auslandsreisen unternahm. Er kam erst in das Berliner Gestapogefängnis in der Lehrter Straße, dann ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Wegen seiner schweren Lungenkranheit wurde er von dort in ein Krankenhaus gebracht. Von den Torturen der Gestapo wie der Lungenkrankheit hat sich Suhrkamp auch später nie erholt.

Bereits am 8. Oktober 1945 bekam Peter Suhrkamp eine Verlagslizenz von der britischen Militärregierung in Berlin, begann mit dem Neuaufbau des Verlags, auch kooperierte er mit Bermann Fischer, brachte Lizenzausgeben heraus, setze auch die literarische Tradition fort, veröffentlichte Arbeiten von Thomas Mann. Eine zunächst angedachte Fusion zwischen Bermann Fischer und Suhrkamp kam nicht. Der neue Suhrkamp-Verlag geht auf Initiative von Hermann Hesse zurück, der auch die Verbindung zum Geldgeber, die Schweizer Familie Reinhardt herstellte. Die Autoren konnten wählen, ob sie im Verlag Beermann Fischer oder bei Suhrkamp veröffentlicht werden wollen. Die Mehrheit der 48 Autoren, darunter auch Bertolt Brecht, entschieden sich für den Suhrkamp Verlag.

Der Suhrkamp Verlag feierte am 1. Juli 2020 das 70jährige bestehen. So erschien das Buch »Über das Verhalten in der Gefahr« mit Essays, Kritiken, Aufsätzen und Tagebucheintragungen von Peter Suhrkamp. Der Nachlass des Verlegers auf Papier soll rund 250000 Blatt umfassen. Daraus haben der Herausgeber und Suhrkamp-Verleger Jonathan Landgrebe und der kürzlich erstorbene Suhrkamp- und Insel-Cheflektor Raimund Fellinger ausgewählt.

Dabei wird in dem Band nicht deutlich, wie Suhrkamps Verhältnis zur Machtübernahme und der NSDAP damals war, hat sich nie dazu geäußert. Anders zum Ersten Weltkrieg, an dem er als Freiwilliger teilnahm, für seine Verdienste als Stoßtruppführer wurde ihm das »Ritterkreuz des Königlichen Hausorden von Hohenzollern«, später auch noch das »Eiserne Kreuz« verliehen.

In dem liebevoll zusammengestellten Band schreiben Jonathan Landgrebe und Raimund Fellinger: »Essays von Peter Suhrkamp« unter dem Titel einer von ihm im Dezember 1939 anlässlich des Erscheinens von Ernst Jüngers »Auf den Marmorklippen« und also drei Monate nach Kriegsausbruch publizierten lebensweltlichen Reflexion zu versammeln markiert den Abstand dieses Verlegers zu seinen Kollegen im 20. Jahrhundert, verstehen die sich doch, um zufällig herausgegriffene Beispiele anzuführen, wie Samuel Fischer als erfolgreiche »Entdecker« oder Kurt Wolff als neutraler »Seismograph«, bezeichnet der unmittelbare Nachfolger Siegfried Unseld sein Movens als »ins Gelingen und die Mittel des Gelingens verliebt«.

Die Entscheidung für »Über das Verhalten in der Gefahr« rechtfertigt sich aus der Beobachtung, wonach Suhrkamp Risikoüberlegungen gleich mehrmals bemüht, einmal1956 im Zusammenhang mit eigenen Erfahrungen (»In meinem Leben waltet deutlich ein Naturgesetz: ich fand mich zu jeder Zeit jeweils in die gefahrvollsten Zonen, und dort in die Feuerlinie gestellt, dorthin, wo es rundum einschlug«), ein weiteres Mal in der Charakterisierung des Tuns eines anderen (»Die Hochspannung der äußersten Grenzsituation - der Gefahr - ist bei [Gustaf] Gründgens nicht bloß Stimulans für seine künstlerische Produktivität... sie liegt in seinem Wesen, und darin tiefer als in einer besonderen Affinität der Nerven«). Hinzu tritt, und das löst den Essay von seiner Situationsbezogenheit: Er ließ ihn gleich zwei Mal nachdrucken (in den Ausgewählten Schriften zur Zeit- und Geistesgeschichte 1951 sowie in der Denkschrift für Wilhelm Ahlmann, aus demselben Jahr, den blinden Freund, der sich 1944 erschoss, um der Verhaftung wegen seiner Zugehörigkeit zum Stauffenberg-Kreis zu entgehen, und dem er ein Denkmal setzte in der Figur des Dr. Violett im Rahmen seiner ab 1942 innerhalb der Neuen Rundschau publizierten Feuilletons »Tagebuch des Zuschauers«). Und die schließlich sollte berichtet werden, dass jene, die den Aufsatz kennen, ihn als Ausdruck »echter Menschenbildung« loben, in ihm besten unter seinen Feuilletons oder gleich aller Essays sehen.
khw

Peter Suhrkamp: Über das Verhalten in Gefahr – Essays

Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
420 Seiten - 30,00 EUR