19.06.2020
Das Jahr 1990 freilegen
Editiert von Jan Wenzel in Zusammenarbeit mit Jan-Frederik Bandel, Anne König, Christin Krause, Elske Rosenfeld, Andreas Rost, Wolfgang Schwärzler, Monique Ullrich und Anna Magdalena Wolf

Der Band ein Kompendium des Jahres 1990, 2,5 Kilo schwer, 582 Seiten, durchgehend illustriert mit sw-Fotos. In der Tat, das umfangreiche Buch, auch in seiner Aufmachung, legt eine bereits vergangene Zeit wieder frei. Ob nun die »Soziale Marktwirtschaft« des Ludwig Erhard - bei den Nazis Berater der annektierten Gebiete von Österreich, Polen und Lothringen – besser ist als der im Band genannte »autoritäre Staatssozialismus«, das man so nicht sagen kann. Nur die »Soziale Marktwirtschaft« fall ist mehr Markt als sozial. In der DDR wurde die STASI entmachtet. Im Westen der Republik ist der Inlandgeheimdienst der BRD so geblieben – groß, geheim, unbekannt – es wird alles gesammelt und überprüft. Wer nicht für die freiheitliche demokratische Grundordnung, der FDGO eintritt, hat schlechte Karten, Lehrer, Polizist oder Lokführer zu werden.

Der erste neue Radikalenerlass nach dem Adenauer-Erlass vom 19. September 1950 richte sich vor allem gegen marxistische Gruppen. Das Schwergewicht lag beim Kampf gegen den Kommunismus. Neben der Kommunistischen Partei Deutschlands enthält das Gesetz auch die FDJ, den Kulturbund und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Mit dem Erlass ging es um die reine Mitgliedschaft, vorgesehen war keine Einzelfallprüfung. Im öffentlichen Dienst tätige Personen, derer Verfassungstreue in Frage gestellt wurde, mussten mit Kürzung ihrer Gehälter, häufig mit ihrer Entlassung rechnen.

Dem Verwaltungsjuristen im Reichsinnenministerium, Verfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze Hans Josef Maria Globke passierte als Konrad Adenauers Rechte Hand nichts. Der Jurist und SPD-Abgeordnete Adolf Arndt bezeichnete 1950 im Bundestag das Tun von Globke als »juristische Prostitution«.

Im Jahr 1972 beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz, Unterzeichnung vom Bundeskanzler Willy Brandt den sogenannten »Radikalenerlass«. Formell richte sich dieser Erlass gegen Mitglieder der DKP, anderer sozialistischer und linker Gruppen bis zu Friedeninitiativen und SPD-nahen Studentenorganisationen. Dabei hat Willy Brandt selber es besser wissen müssen als Verfolgter der Nazis. In diesen wurde bekannt, Brandt stand auf der US-Dollarliste des CIA.

Mit seinen Texten und Bildern lässt der Band die Wendezeit wieder auferstehen mit einem eingeschränkten Blick. Auch ich war in dem Jahren 1989/90 in der DDR – in Leipzig zu 225 Jahre der Hochschule für Grafik und Buchkunst, zum Nationalen Dokfilmfestival in Neubrandenburg, zur Dokfilmwoche in Leipzig. Habe Berlin besucht, die Wahlen im März zur Volkskammer in Leezen am Schweriner See, das Auszählen der Stimmen durfte ich nicht fotografieren. Gesehen und fotografiert habe wenige Tage nach der Volkskammerwahl einen Konsumladen der mit Pornoheften Kunden suchte. Am 1. Juli 1990, die D-Mark kam in die DDR, begann ich meinen Dokumentarfilm mit dem Titel »Zwischen Himmel und Erde – Menschen in Schwerin« und der Musik der Gruppe CITY.

»Das Jahr 1990 freilegen« bringt die Jahre der Veränderung zurück. Etwas mehr Überparteilichkeit hätte ich mir bei dem Thema gewünscht. War nun alles schlecht in der DDR ist meine Frage? Darauf keine Antwort auf den 582 Seiten, trotzdem lesenswert.
khw


Das Jahr 1990 freilegen
Editiert von Jan Wenzel und einem Kollektiv

Verlag: Spector Book Leipzig
582 Seiten - 36,00 EUR