25.03.2020
Jean Ziegler: DIE SCHANDE EUROPAS – Von Flüchtlingen und Menschenrechten

Der Autor Jean Ziegler wurde am 19 April 1934 als Hans Ziegler in Thun/Schweiz geboren, ist Soziologe, Politiker, Sachbuch- und Romanautor. Noch immer ist er einer der bekanntesten Kapitalismus- und Globalisierungskritiker. Von 1967 bis 1983, dann wieder von 1999 war er Genfer Abgeordneter im Nationalrat für die Sozialdemokratische Partei Schweiz. Von 2000 bis 2008 war Ziegler UN-Sonderberichterstatter für Recht auf Nahrung - zuerst im Auftrag der Menschenrechtskommission, dann des Menschrechtsrats. Seit 2008 gehört er dem Beratenden Ausschuss des Menschenrechts der UN an.

In seinen Sachbüchern kritisierte Ziegler mehrfach die historische Rolle der Schweiz, unter anderem wegen ihres Verhaltens in der Zeit des Nationalsozialismus, warf den politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen jener Jahre vor, durch den Waren- und Kapitalverkehr mit dem Deutschen Reich über Geldwäsche und Handel mit Gold den Zweiten Weltkrieg verlängert zu haben. Wegen massiver Kritik an der Schweizer Politik, Wirtschaft, Finanzwesen sowie deren Institutionen in seinen Publikationen wurde er immer wieder als »Landesverräter« angegriffen und von mehreren Instituten und Privatpersonen, zum Teil erfolgreich, zivil- und strafrechtlich belangt. Die Verurteilungen zu Schadensersatzleistungen trieben ihn in den wirtschaftlichen Ruin. So soll der Schuldenstand im Jahr 2011 nach eigener Aussage bei 5,5 bis 6 Millionen Euro gelegen haben, die vor allem aus verlorenen Prozessen wegen Rufschädigung und ähnlichem stammen, die durch von ihm zuvor kritisierte Unternehmer und Banken angestrengt wurden. Dazu Jean Ziegler in einem Interview, dass ihn alleine die Bezeichnung eines bekannten Schweizer Wirtschaftsanwalts als „Geier“ 320.000 Schweizer Franken gekostet hat. Später wurde der Anwalt rechtskräftig als Betrüger verurteilt, so kann er heute legal ihn auch so bezeichnen, ohne eine Strafe zu befürchten. Anders mit dem Präsidenten von Mali Moussa Traore, der 23 Jahre Präsident eines der ärmsten Länder der Welt war, bekam 180.000 Franken Schadensersatz zugesprochen. Ziegler hatte den Mann als „Kleptokrat“ bezeichnet und geschrieben, dass dieser zwei Millarden US-Dollar aus der Staatskasse auf sein Privatkonto in der Schweiz verschoben habe, während die Menschen in seinem Land an Hunger starben. Da war das Bußgeld für die Bezeichnung des chilenischen Diktators Augusto Pinochet als „Faschist“ mit 2.000 Franken wegen „übler Nachrede“ noch günstig gewesen.

»Die Schande Europas« ist Jean Zieglers letztes Sachbuch. Als der Autor im Mai 2019 auf der Insel Lesbos das größte von fünf Erstaufnahme- und Registrierungszentren der EU besucht, findet er erschütternde Zustände vor. Mehr als 18 000 Männer, Frauen und Kinder sind in dem heillos überfüllten Lager Moria menschenunwürdig zusammengepfercht. Die Versorgung mit Nahrung, die hygienischen Bedingungen, die medizinische Betreuung ist völlig unzureichend. Bis für die von Folter, Bomben und Terror traumatisierten Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Irak und Iran in einem intransparenten Verfahren über ihren Asylantrag entschieden wird, vergehen Jahre. Heute sind es mehr als 35.000 Flüchtlinge, die auf Lesbos leben.

Das steht alles im Gegensatz zu einer inhumanen EU-Praxis. Das Problem der Vereitlung der Flüchtlinge ist auch heute noch von einer Lösung weit entfernt, da sich EU-Staaten wie Ungarn, Polen oder Tschechien kategorisch verweigern.

Daraus zieht Jean Ziegler den Schluss: Im Zuge der Aushöhlung des Asylrechts droht die Zerstörung der moralischen Grundlagen, mit denen die EU 1957 als »Wertegemeinschaft« angetreten ist.
khw


Jean Ziegler: DIE SCHANDE EUROPAS
Von Flüchtlingen und Menschenrechten
Aus dem Französischen übertragen von Hainer Kober

C. Bertelsmann Verlag in der Verlagsgruppe Random House, München 2020
143 Seiten - 15,00 EUR