23.03.2020
KARL SCHLÖGEL: DER DUFT DER IMPERIEN – CHANEL N° 5 UND ROTES MOSKAU

Karl Schlögel, geboren am 7. März 1948 im schwäbischen Hawangen, ist Osteuropahistoriker und Publizist mit Arbeitsschwerpunkt der russischen Moderne und des Stalinismus. Dazu gehört auch die Dissidentenbewegung heute in Russland. Zu seinen Arbeiten zählen: »Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt« und »Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen.« Nun liegt ein neuer Titel vor: »DUFT DER IMPERIEN – CHANEL N° 5 UND ROTES MOSKAU«.

Aber kann man mit einem Tropfen Parfüm die Geschichte Russland erzählen? Der Autor liebte es schon immer, sich einem Thema auf ungewöhnliche Weise zu nähern. Nun sein Versuch, russische Geschichte über Parfüm für den Leser zu erschnuppern. Das legändere Parfüm »Chanel N°5« und »Rotes Moskau«, bekannt in West und Ost, sind so Karl Schlögel, Zwillinge des Duftes. Der Autor schreibt: »Erste Recherchen ergaben, dass der Duft von einem Parfüm namens Rotes Moskau stammte. Nun kennen wir die Karriere des so erfolgreichen Chanel N°5, aber kaum die Geschichte des populärsten sowjetischen Parfüms. Es zeigte sich, dass beide auf eine gemeinsame ursprüngliche Komposition zurückgehen, komponiert von französischen Parfümeuren im Zarenreich, von denen der eine - Ernest Beaux - nach Revolution und Bürgerkrieg nach Frankreich zurückkehrte und auf Coco Chanel traf, während der andere - Auguste Michel - in Russland blieb, bei der Gründung der sowjetischen Parfümindustrie mitwirkte und aus dem »Lieblingsbouquet der Kaiserin Katharina« das Rote Moskau schuf.

Beide Parfüms stehen für die Entstehung neuer Duftwelten, für radikal unterschiedlich verlaufende Biografien, für kulturelle Milieus im Paris und Moskau der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, aber auch für den verführerischen Duft der Macht: Coco Chanel, die sich mit den Deutschen im besetzten Paris einließ, und - weit weniger bekannt -
die Karriere Polina Shemtschushinas, der Ehefrau des sowjetischen Außenministers Wjatscheslaw Molotow und Volkskommissarin, die zeitweilig auch für die sowjetische Kosmetik- und Parfümerieindustrie zuständig war. Coco Chanel setzt sich nach dem Krieg vorübergehend in die Schweiz ab, Polina Shemtschushina-Molotowa wird im Zuge der antisemitischen Kampagne der späten 1940er Jahre für fünf Jahre in die Verbannung geschickt und lernt den »Geruch der Lager« kennen. Chanel reüssiert in den 1950er Jahren in der Pariser Modeszene, Shemtschushina lebt zurückgezogen an der Seite ihres Mannes in Moskau und bleibt bis zu ihrem Tod im Jahre 1970 eine überzeugte Stalinistin.«

Seine Duftgeschichte ist ein Ritt durch Biografien, Lebenswelten, Gesellschaft und Politik im 20. Jahrhundert in Europa. Bei seinen Recherchen entdeckt Karl Schlögel, dass es Kasimir Malewitsch, der Gestalter des Schwarzen Quadrats war, der auch das Design des Flakons für das meistgekaufte Eau de Toilette der Sowjetunion »ROTES MOSKAU« entwarf.

Karl Schlögel zeigt mit dem Buch »Duft der Imperien« das sich Geschichte auch über Parfüm vermitteln lässt.
khw


KARL SCHLÖGEL: DER DUFT DER IMPERIEN
CHANEL N° 5 UND ROTES MOSKAU

Carl Hanser Verlag, München 2020
221 Seiten - sw-Fotos - 22,00 Euro