06.09.2019
Michael Brenner: Der lange Schatten der Revolution
Juden und Antisemiten in Hitlers München 1918 – 1923

Der Autor Michael Benner wurde am 4. Mai 1964 in Weiden/Bayern geboren. Als Historiker forscht und publiziert er auf dem Gebiet Jüdischer Geschichte und Jüdischer Kultur, ist der Sohn zweier Überlebender der Shoa.
Die Bayerische Landeshauptstadt München machte in den Jahren der Revolution von 1918 bis 1920 eine große Wende durch. Über die Stadt der Künstler und Bohème kam fast über Nacht der Antisemitismus. Die Veränderung der Stadt München und die Haltung beschreibt Brenner in sechs Kapiteln, von «Perspektivenwechsel» zur «Pogromstimmung in München» bis «Perspektivenvielfalt».

Auf dem Weg zum Bayerischen Landtag wurde am 21. Februar 1919 der Ministerpräsident des Freistaates Kurt Eisner Münchener Prannerstraße von dem 22-jährigen Ex-Leutnant von Anton Graf Arco auf Valley hinterrücks erschossen. Die Bluttat machte ihm zum Märtyrer der Münchener Revolution, hatte doch Eisner als Mitglied der USPD die Bayerische Republik ausgerufen. Der adelige Mörder, von Eisners Begleitern lebensgefährlich verletzt, wurde von Ferdinand Sauerbruch operiert, dann mit gefälschten Papieren in eine Psychiatrische Klinik eingeliefert, endlich am 16. Februar 1920 zum Tode verurteilt, wenig später bereits auf lebenslange Festungshaft umgewandelt. 1927 erfolgt aus Anlass des 80. Geburtstags des Reichspräsidenten Paul von Hindenburgs eine Amnestie.

Über die Trauerfeier von Eisner schreibt Michael Brenner: «Die Trauerfeier für den ermordeten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner am 26. Februar 1919 auf dem St. Martinsplatz vor dem Münchner Ostfriedhof war ein Ereignis, das in der Geschichte des deutschen Judentums einmalig dasteht. Ein jüdischer Deutscher, der wenig später selbst Regierungsverantwortung in der bayerischen Räterepublik übernehmen sollte, hielt die Grabrede auf einen jüdischen Ministerpräsidenten, der drei Monate zuvor die sieben Jahrhunderte regierende Dynastie der Wittelsbacher gestürzt hatte. Beide hatten sich schon lange von der Religion ihrer Vorfahren losgesagt, und doch wussten beide genau, dass sie ihre Bande mit der jüdischen Gemeinschaft nicht lösen konnten. So hielt Gustav Landauer, einer der engsten Weggefährten Eisners und im April 1919 Volkskommissar für Volksaufklärung, Unterricht, Wissenschaft und Künste, es für angebracht, am Sarg des ermordeten bayerischen Ministerpräsidenten, vor Tausenden Trauergästen, darauf zu verweisen, wer Kurt Eisner gewesen ist: »Kurt Eisner, der Jude, war ein Prophet, weil er mit den Armen und Getretenen fühlte und die Möglichkeit, die Notwendigkeit schaute, der Not und Knechtung ein Ende zu machen.«

Kurt Eisner, der Jude. Meistens waren es seine Feinde, die ihm seine Herkunft unter die Nase rieben. Ein ganzes Konvolut wüster antisemitischer Beschimpfungen findet sich im Nachlass Eisners. Landauer, der nur wenig später grausam ermordet wurde, ging es kaum besser, ebenso den anderen jüdischen Trägern und Gegnern dieser
Revolution und ihrer Nachbeben. Doch auch unter den Juden selbst war die jüdische Herkunft vieler Revolutionäre ein heftig diskutiertes Thema. In ihrer Mehrzahl waren sie entschiedene Gegner der Revolution oder standen ihr zumindest mit der Sorge gegenüber, sie müssten am Ende den Preis für die Taten der Eisners und Landauers zahlen. Der Philosoph Martin Buber, ein enger Freund Landauers und ein Bewunderer Eisners, hatte München auf Einladung Landauers im Februar 1919 besucht. Er reiste am Tag der Ermordung Eisners ab und fasste den Eindruck seines Besuchs in München so zusammen: »Eisner hatte in die Dämonie seiner zwiegespaltenen Judenseele hineingesehen, das Verhängnis strahlte aus seiner Glätte hervor, er war gezeichnet. Landauer wahrte sich mit äußerster Anstrengung der Seele den Glauben an ihn und deckte ihn, ein Schildträger von erschütternder Selbstverleugnung. Das Ganze eine namenlose jüdische Tragödie.«

In München gab es seit 1918 die «Thule-Gesellschaft», ab 1919 das Freikorps von Franz Ritter von Epp und im Februar 1920 gründete sich die NSDAP. Das war die Vorahnung. München wurde später von den Nazis «Stadt der Bewegung» genannt, Thomas Mann nannte sie bereits 1923 die «Stadt Hitlers».
Empfehlenswert besonders für Schüler.
khw


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Juden und Antisemiten in Hitlers München 1918 - 1923

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