16.08.2019
Museum für bilden Künste Leipzig: Point of No Return
Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst

Mit dem simplen Untertitel «Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst» wird der Name des Staates DDR, dem die bildende Kunst einmal entstand, immer wieder ausgeblendet. Das mit Absicht?

Für die Leipziger Ausstellung mit DDR-Kunst zeichnen drei Kuratoren verantwortlich. Dr. Paul Kaiser, 1961 in Freiberg/DDR geboren, ist Kulturwissenschaftler und gilt als Experte für DDR Kunst. Mit einem Beitrag in der «Sächsischen Zeitung» kritisierte Kaiser eine mangelnde Präsenz von DDR Kunst in Museen. Seine Kritik entfachte 2017 den sogenannten «Dresdner Bilderstreit». Das MDR-Interview MDR mit Kaiser zur Ausstellung, gesendet am 23. Juli, hat den provozierenden Titel «Die Enkel der Diktatur: Junge Kunst aus Ostdeutschland».

Kurator Christoph Tannert, 1955 in Leipzig/DDR geboren, studierte von 1976-1981 an der Humboldt-Universität Archäologie und Kunstgeschichte, ist seit 1992 Projektleiter am «Künstlerhaus Bethanien Berlin» und ab 2000 auch der Geschäftsführer der Kultureinrichtung.

Der dritte Kurator, Alfred Weidinger, ein österreichischer Kunsthistoriker und Fotograf. Im August 2017 übernahm er die Leitung des Museums der bildenden Künste Leipzig. Mit seiner Ausstellung «ARNO RINK – ICH MALE!» setzte er Maßstäbe in der Aufarbeitung der DDR-Kunst. Der Maler Arno Rink blieb auch nach der Wende bis 1995 Rektor der «Hochschule für Grafik und Buchkunst» in Leipzig. Im Juni 2019 wurde bekannt, dass Weidinger ab März 2020 neuer wissenschaftlicher Direktor des «Oberösterreichischen Landesmuseum» in Linz werden soll. Für mich ist Alfred Weidinger einer der die Kunst der DDR ohne Vorurteile sieht.

«Point of No Return – Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst» dürfte die bisher umfangreiste Ausstellung sein, die es seit der Vereinigung von West- und Ostdeutschland über Kunst aus das sich bis dato DDR nannte, gezeigt wurde. Auch für die Künstler bedeutet das eine Wende in ihren Biografien. Nach dem Tag des Mauerfalls änderte sich für die DDR Bürger, so auch den Künstlern, an ihrem Alltag vorerst nichts. Das kam erst später mit der Treuhand. In der Spätphase der DDR noch vom Ministerrat der DDR unter Ministerpräsident Modrow am 1. März 1990 gegründet als «Als Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums» wurde mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 eine bundesunmittelbare «Anstalt des öffentlichen Rechts». Nach der Ermordung des Treuhandchefs Detlef Carsten Rohwedder am 1. April 1991 folgte die CDU-Politikerin Birgit Breuel als Nachfolgerin.

Damit mit dem Ende der DDR brachen den Künstlern auch ihre Käufer weg. Ein übrigens vollbrachte, wohl aus Futterneid, der westdeutsche Maler Georg Baselitz in seinem Sommerinterview 1990 in der Kunstzeitschrift «art» aus dem Verlag Gruner + Jahr. Hier ließ Baselitz verlauteten: «…es gibt keine Künstler in der DDR.» Damit war der Eklat perfekt, die lästige Konkurrenz aus der DDR ausgeschaltet.

Im Katalog schreiben die Kuratoren: «Neben der Qualität der einzelnen Werke ist es auch die Vielzahl der künstlerischen Handschriften, Kunstmodelle und Denkarten, mit der diese Ausstellung ein einzigartiges Panorama der ostdeutschen Kunst am Thema von „Wende" und gesellschaftlichem Umbruch entfalten kann. Es sind mehr als 300 Werke von 106 Künstlern und Künstlerinnen auf einer Ausstellungsfläche von über 2000 Quadratmetern, die das Phänomen des Untergangs der DDR und der darauffolgenden Passage in eine kapitalistische Gesellschaftsordnung in Aktion und Reflexion kartografieren. Gerade Leipzig, als der symbolische Hauptort der Friedlichen Revolution, ist mit seinem bürger- und künstlernahen Museum der bildenden Künste ein prädestinierter Veranstaltungsraum für dieses ehrgeizige Vorhaben.

Der Mauerfall war sicherlich der entscheidende Point of No Return für viele ostdeutsche Biografien und auch für die mit ihm ins Kippen gekommenen Strukturen des Kunstsystems. Aber dem 9. November 1989 gingen viele individuelle „Wenden", innere wie äußere, voraus. Zu einer Vorgeschichte der „Wende" gehörten harte Brüche mit Normen und Institutionen sowie traurig machende Verabschiedungen von Menschen, welche die DDR ausbürgerte oder die sie wegen erfahrener Repression durch SED und Staatssicherheit freiwillig verließen. Wichtige Werke thematisieren den Untergang des sozialistischen Systems folgerichtig weit vor dem eigentlichen Ereignis - in kühner Antizipation oder als dystopische Imagination. Unsere Exposition bezieht deshalb die Vorgeschichte des Mauerfalls in die Konzeption mit ein. Sie folgt damit auch den Eigengesetzen der Kunst, die sich nur sehr bedingt in die politische Dramaturgie der Zeitenläufe einordnen lässt.»
khw


Bis zum 3. November 2019 – Museum der bildenden Künste Leipzig
Katharinenstraße 10 - 04109 Leipzig
Di., Do-So. 10-18 Uhr, Mi. 12-20 Uhr

Der Katalog, Hirmer-Verlag München 2019
440 Seiten über 290 Abbildungen – im Museumshop 35,00 EUR
im Buchhandel 45,00 EUR