06.06.2019
Cristian Koller / Matthias Marschik (Hg.): Die ungarische Räterepublik 1919
Innenansichten – Außenperspektiven – Folgewirkungen

WIKIPEDIA schreibt: «Die Föderative Ungarische Sozialistische Räterepublik (ungarisch: Magyarországi Szocilista Svövetséges Tanácsköztársaság) meist aber nur als Ungarische Räterepublik (ungarisch Magyarországi Tanácsköztársaság) bezeichnet, wurde am 21. März 1919 ausgerufen und bestand bis zum 1. August desselben Jahres. An ihrem Zustandekommen war der Journalist und Zeitungsherausgeber Béla Kun (1886 – 1938) maßgeblich beteiligt.»

In der Einleitung schreiben die Herausgeber Christian Koller/Matthias Marschik:«Ende März 1919 erklärte Otto Bauer in der Wiener Arbeiter-Zeitung die am Tag zuvor ausgerufene ungarische Räterepublik zu einem defensiven Akt, geprägt von Hoffnungslosigkeit: »So kommt in Ungarn die Diktatur des Proletariats als die Diktatur der Verzweiflung.« Bauer schwankt in seiner Einschätzung zwischen der Aussichtslosigkeit des Unterfangens und einer - ebenso bemühten wie distanzierten - positiven Beurteilung.

Die Diskurse und Argumente, die Gründe des Für und Wider waren höchst unterschiedlich. Ambivalenzen, Zweideutigkeiten und Heterogenitäten prägten das Bild der ungarischen Räterepublik schon seit dem Zeitpunkt ihrer Existenz und schrieben sich durch Jahrzehnte retrospektiver Einschätzungen und Zuschreibungen fort. Das ist zum einen natürlich der Wechselhaftigkeit der ungarischen Geschichte im weiteren 20. und beginnenden 21. Jahrhundert geschuldet, die, wie Arpad von Klimö in seinem Buchbeitrag ausführt, zu höchst unterschiedlichen Bewertungen der eigenen Vergangenheit des Jahres 1919 geführt hat. Es ist aber ebenso Folge der heterogenen Entwicklungen im Europa der vergangenen hundert Jahre, die nicht zuletzt durch unterschiedliche Faschismen, durch massive Kontraste von Marxismus und Antimarxismus sowie durch den Kalten Krieg geprägt waren.»

Es das erste Mal, dass die ungarische Räterepublik im deutschsprachigen Raum so umfangreich, aus allen Perspektiven, aufgearbeitet wird.

Einer der für die Räterepublik kämpfte war Georg Lukács, 1885 als Sohn eines Bankiers und geadelten Juden in Budapest geboren. Er studierte in Berlin, war Privatdozent in Heidelberg, befreundet mit Max Weber, Stefan George und Thomas Mann. In seinem Roman «Zauberberg» porträtierte Mann Lukács in der Gestalt des Jesuiten-Paters Naphta. Angesichts des in Trümmern gegagenen Kaiserreiche - Österreich-Ungarn und Deutschland – nahm Georg Lukács für immer Abschied von der bürgerlichen, feudalen Welt seiner Jugend, wurde Kommunist, kämpfte 1919 als Politruk der fünften Division der Ungarischen Roten Armee gegen Tschechen und Rumänien. Nach den 130 Tagen der Ungarischen Räteregierung ging er nach Wien.

Heute wird hierzulande noch immer ausgeblendet, dass die «Ungarische Räterepublik» die erste friedliche Machtübernahme einer kommunistischen Regierung war. Ausgeblendet werden ihre Ideale und Ziele wie auch ihre internationale Einbettung.
khw


Christian Koller / Matthias Marschik (Hg.)
DIE UNGARISCHE RÄTEREPUBLIK 1919
Innenansichten – Außenperspektiven – Folgewirkungen

Promedia Verlag, Wien 2019
277 Seiten – zahlreiche sw-Fotos – 21,90 EUR