05.04.2019
THOMAS KARLAUF: Stauffenberg – Porträt eines Attentäters

Der nationalkonservative Widerstand gegen den Nationalsozialismus diente über Jahrzehnte als Beispiel für den bürgerlichen Widerstand als der von Kommunisten und Sozialdemokraten. Nun räumt Thomas Karlauf mit der Heroisierung des Hitler Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf. Der Autor schreibt: «So war Stauffenberg auch froh, als mit der Machtübernahme Hitlers Ende der Republik gekommen war, und wie sein Bruder Berthold machte er kein Hehl aus seiner Begeisterung für die Nationalsozialisten.»

Thomas Karlauf schreibt weiter: «Das meiste was wir über Claus von Stauffenberg wissen, beruht auf Aussagen, die nach dem 20. Juli 1944 gemacht wurden. An diesem Tag scheiterte das von ihm geplante und ausgeführte Attentat auf Adolf Hitler. Um 13.45 Uhr, eine Stunde nach Detonation der Sprengladung in der Lagebaracke des Führerhauptquartiers in Ostpreußen, traf Reichsführer-SS Heinrich Himmler bei Hitler ein. Himmler, als Chef des Reichssicherheitsdienstes für die Sicherheit des Diktators zuständig, kam mit dem Wagen aus seinem Quartier Hochwald, wo er sich drei Jahre zuvor, rechtzeitig zum Überfall auf die Sowjetunion, eine Feldkommandostelle hatte einrichten lassen. Für die rund vierzig Kilometer von dort quer durch die masurische Seenplatte zu Hitlers Wolfschanze brauchte er eine gute Dreiviertelstunde, schneller ging es nicht. Hitler und Himmler sprachen etwa eine Stunde miteinander - laut Himmlers Terminkalender wahrscheinlich unter vier Augen -, und zweifellos wurde dabei auch die Frage erörtert, warum es der Gestapo nicht gelungen war, das Komplott aufzudecken. Anschließend aßen der Reichsführer-SS Reichsleiter Martin Bormann und der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Keitel, gemeinsam zu Mittag und besichtigten dann die durch Wucht der Explosion zerstörte Baracke. Um 16.00 Uhr traf Mussolini ein; der Besuch war seit einigen Tagen verabredet, und Hitler sah keinen Grund, ihn abzusagen.

Um 17.00 Uhr ernannte Hitler den Reichsführer-SS als Nachfolger von Generaloberst Fromm zum Befehlshaber des Ersatzheeres. Da über dessen Befehlswege gegen 16.15 Uhr das Signal zum Staatsstreich losgelöst worden war, hielt man Fromm für einen der Drahtzieher der Verschwörung im Oberkommando des Heeres in der Berliner Bendlerstraße. Himmler ließ sich über Hochwald zum Flugplatz in Lötzen fahren. Dort kam es zu einer ersten Besprechung mit SS-Obergruppenführer Kaltenbrunner, dem die zu bildende Sonderkommission zur Aufklärung der Hintergründe des Attentats unterstehen sollte, und Mitarbeitern des Reichssicherheitshauptamts, die auf Befehl Himmlers aus Berlin eingeflogen worden waren. Die Maschine zurück startete um 19.30 Uhr. Als sie zwei Stunden später in Tempelhof landete, war die Machtfrage in der Bendlerstraße zwar noch nicht endgültig entschieden, aber es schien ausgeschlossen, dass sich die Putschisten um Claus von Stauffenberg mit ihren Aufrufen und Befehlen noch durchsetzen würden. Himmler ließ sich zunächst ins SS-Führungshauptamt nach Bad Saarow und von dort um halb eins in die Dienstvilla von Reichspropagandaminister Goebbels unweit des Brandenburger Tors bringen. An der nächtlichen Sitzung - »Niederschlagung der Revolte v. Stauffenberg usw.« - nahm neben Kaltenbrunner und Generaloberst Stumpff, dem Oberbefehlshaber Luftflotte Reich, auch Rüstungsminister Albert Speer teil.

»Man müsse sich stets vom Zentrum fernhalten und Gegenaktionen nur von außen einleiten«, habe Himmler dem misstrauischen Goebbels sein Vorgehen erläutert. Als es hell wurde, fuhr er ins Reichssicherheitshauptamt in der Prinz-Albrecht-Straße. Um 12.15 Uhr wurde ihm dort der verhaftete Generaloberst Hoepner vorgeführt, der nach Generalfeldmarschall Witzleben und Generaloberst Beck dienstälteste Offizier, der seit seiner Ausstoßung aus der Wehrmacht im Januar 1942 mit der Verschwörung sympathisierte. Eine Stunde später hielt Himmler vor den Amts-
und Abteilungschefs des Ersatzheeres in der Bendlerstraße eine Ansprache zur Amtsübernahme. Um 16.30 Uhr flog er zurück nach Ostpreußen und berichtete Hitler am Abend über die eingeleiteten Maßnahmen und den Stand der Ermittlungen. Rund vierhundert Kriminalbeamte, die in elf »Sonderkommandos 20. Juli« arbeiteten, untersuchten in den folgenden Monaten sämtliche Aspekte der Erhebung und drangen dabei in letzte Verästelungen einer sowohl im Offizierskorps als auch im Zivilbereich weitverzweigten Opposition vor.»

Kaum ein Ereignis der jüngsten Deutschen Geschichte hat mehr Aufmerksamkeit erfahren als der 20. Juli 1944. Der Krieg ging danach noch neuneinhalb Monate nach dem gescheiterten Attentat weiter. Es kamen in diesen Monaten mehr Deutsche ums Leben als in den Kriegsjahren davor. Und so dachte das Militär: Der Oberbefehlshaber der 3. Panzerarmee, Generaloberst Georg-Hans Reinhardt – hatte um Ablösung von seinem Kommando ersucht – notierte in sein Tagebuch: «Unfassbar! Was hat er (Stauffenberg) mit dieser Tat unserem Offizierstand angetan? Wir können uns nur zutiefst schämen.»

Die Meinung von Reinhardt steht nicht allein - bis zur bedingungslosen Kapitulation wurde für Hitler weitergekämpft.
Und noch immer wird dem Stauffenberg-Attentat gedacht – warum?
khw


THOMAS KARLAUF: STAUFFENBERG
PRORTRÄT EINES ATTENTÄTERS

Blessing Verlag in der Verlagsgruppe Random House, München 2019
366 Seiten - 24,00 EUR