11.04.2019
DANIEL SIEMENS: STURMABTEILUNG – Die Geschichte der SA

Der Autor Daniel Siemens, 1975 in Bielefeld geboren, ist ein deutscher Historiker und lehrt Europäische Geschichte an der Newcastle University im Nordosten Englands. Den Ruf nach Newcastle nahm Siemens nach seiner Habilitation im Januar Jahr 2017 an der Universität Bielefeld im Oktober des Jahres an. Nach seiner Arbeit «Horst Wessel: Tod und Verklärung eines Nationalsozialisten», 2009 im Verlag Siedler veröffentlicht, legt er mit dem Titel «Sturmabteilung» nach.

Im Vorwort schreibt Daniel Siemens: «Geschrieben habe ich das Buch seit 2012 zunächst mit Blick auf ein internationales Publikum in der Hoffnung, dass es zeitgeschichtlich Interessierten wie Experten für die Geschichte des Nationalsozialismus noch Neues bieten könnte. Anfangs ging ich davon aus, dass das Werk keine übermäßige aktuelle Relevanz erfahren würde. Die Zeiten der politischen Straßengewalt, der antisemitischen Verfolgungen und auch des religiös verbrämten Nationalismus schienen in Europa überwunden. Gerade in Deutschland war in der liberalen Öffentlichkeit die optimistische Ansicht verbreitet, dass die historische Erfahrung mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen diese politische Ideologie ein für alle Mal delegitimiert hatte.»

Weiter schreibt er: «Inzwischen hat sich Skepsis ausgebreitet. In den letzten Jahren wurde uns deutlich vor Augen geführt, wie fragil die demokratisch verfassten Gemeinwesen der Gegenwart sind. Die jahrzehntelang vorherrschende Auffassung, Bonn sei nicht Weimar, die Bundesrepublik also nicht mit der kurzlebigen Weimarer Republik zu vergleichen, hat angesichts des wiedererstarkten Populismus in vielen Ländern des alten Westens zu Beginn des 21. Jahrhunderts erheblich an Überzeugungskraft eingebüßt. Das ehemals so stabile deutsche Parteiensystem hat sich deutlich verändert; neue politische Kräfte, die Grundüberzeugungen der liberalen Gesellschaften infrage stellen, sind in der Bundesrepublik ebenso wie in vielen anderen Ländern Europas auf dem Vormarsch. Ob es sich dabei um eine dauerhafte Verschiebung der politischen Koordinaten oder lediglich um eine temporäre Erscheinung handelt, ist eine Frage, zu deren Beantwortung der Historiker wenig beitragen kann. Er kann aber gegenwärtige Entwicklungen vor dem Hintergrund des historischen Erkenntnisstandes einordnen.

Die hier vorgelegte Geschichte vom Aufstieg und Fall der SA ist aus drei Gründen von besonderem Interesse: Erstens zeigt sie exemplarisch, welche Sprengkraft eine Politik der Straße entfalten kann, wenn sie tief sitzende Emotionen schürt, an traditionelle nationale und religiöse Überzeugungen anknüpft und vor dem Einsatz selbst massiver Gewalt nicht zurückschreckt. Zweitens macht sie die Gefahren deutlich, die sich für ein demokratisches Gemeinwesen ergeben, wenn sich gesellschaftliche Debatten in nahezu hermetisch abgeriegelten Teilöffentlichkeiten abspielen und missliebige Argumente und politische Positionen als fake news abgetan werden. Drittens schließlich kann man verfolgen, welch ungewöhnlich starke Loyalität gerade jene Gesellschaftsschichten, für die sich die politischen Eliten nur am Rande interessieren, entwickeln können, wenn man tatsächlich oder auch nur vorgeblich eine Politik in ihrem Sinne macht. Angesichts der radikalen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten gerät heute allzuleicht in den Hintergrund, dass diese politische Bewegung Angehörige sehr verschiedener gesellschaftlicher Gruppen für sich zu gewinnen vermochte. Die Geschichte der SA zeigt an vielen Beispielen, wie attraktiv die Vision einer nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« war - für die Zeit vor der »Machtergreifung« wie im späteren »Dritten Reich« und selbst noch lange nach 1945.»

Mit zehn Kapiteln, von «Die Anfänge der nationalsozialistischen SA» bis «Was bleibt? Deutungskämpfe der Nachkriegszeit» vermittelt Siemens seinen Lesern die Geschichte der SA, die wahrlich keine Helden waren, funktionierende Menschen, die den Nazis bei der Stabilisierung hilfreiche Hände für den Faschismus waren.

Im Schlusskapitel schreibt der Autor: «Schon sehr früh, im Jahr 1932, wurden die nationalsozialistische Sturmabteilung und ihre Mitglieder zum Objekt wissenschaftlicher Forschung. Am Institut für Rassen- und Völkerkunde der Universität Leipzig nahm in jenem Jahr der Doktorand Peter Sachse die Arbeit an einer Dissertation auf, die er zwei Jahre später einreichte. Der damals 25-Jährige war der Sohn eines evangelischen Pfarrers aus Dittersbach im Erzgebirge und selbst SA-Mann. Für seine Promotionsschrift fotografierte er zwischen November 1932 und Februar 1933 rund 300 SA-Männer von den Leipziger SA-Standarten 106 und 107 und vermaß sie anthropometrisch. Seine Befunde - dass die durchschnittliche Körpergröße der Leipziger SA-Männer
171 Zentimeter betrug, ihr Durchschnittsgewicht bei 64 Kilogramm lag und ihre Schädel mehrheitlich dem »hyper-brachykephalen« Typus entsprachen - taugen allerdings zu wenig mehr, als uns die Eigentümlichkeiten eines bestimmten Zweiges der wissenschaftlichen Forschung im Deutschland der 1930er Jahre vor Augen zu führen. Im Grunde zeigen sie nur, dass die Leipziger SA-Männer in körperlicher Hinsicht ganz gewöhnliche Männer ihrer Zeit waren. Man sollte sich dennoch davor hüten, die Studie als Kuriosität und wissenschaftliche Verirrung abzutun. Dass solche Arbeiten angeregt, angefertigt und spätestens seit 1933 mit öffentlichen Geldern finanziert wurden, wirft ein Licht auf die enge Verbindung, die in den 1930er Jahren zwischen ideologischen Präferenzen, politischen Aktivitäten und dem »wissenschaftlich« untermauerten Anspruch auf rassische Überlegenheit in Deutschland bestand.»

Leider wurde SA vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg wurde nicht wie SS und Gestapo als «verbrecherische Organisation» eingestuft. In der Bonner Republik konnten einige ranghohe SA-Männer Bürgermeister werden. War die SA nicht an «Mord, Misshandlungen, Sklavenarbeit und Deportation von Juden» beteiligt?
Empfehlenswert.
khw


DANIEL SIEMENS: STURMABTEILUNG – Die Geschichte der SA
Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber

Siedler Verlag in der Verlagsgruppe Random House, München 2019
589 Seiten - zahlreiche sw-Fotos - 36,00 EUR