06.04.2019
Ian Kershaw: ACHTERBAHN - Europa 1950 bis heute
Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt

Der Autor Ian Kershaw, geboren am 29. April 1943 in Oldham, Lancashire, wurde durch seine Arbeiten zum Nationalsozialismus bekannt. Er studierte am Merton College der University of Oxford Geschichte, wurde an der University of Manchester Dozent für Mittelalterliche und Moderne Geschichte. Am Goethe-Institut der Stadt erlernte er die deutsche Sprache. Von 1983/84 hatte Kershaw eine Gastprofessur an der Ruhr-Universität in Bochum, dann die Universitäten von Nottingham und Sheffield, wo er emeritiert wurde. Nun liegt der Band «Achterbahn» mit dem Zusatztitel «Europa 1950 bis heute» vor.

Im Vorwort schreibt Kershaw: «Die Dinge können sich rasch ändern. Dies gilt auch für die Geschichtsschreibung. Eric Hobsbawm (Marxist) blickte in den frühen 1990er Jahren bedrückt auf die langfristigen Krisen, von denen Europa wahrscheinlich erschüttert werden würde, und hob in seiner pessimistischen Schlussfolgerung die destruktiven Kräfte des Kapitalismus hervor. Die meisten Analytiker sahen die jüngste Geschichte Europas jedoch positiver. Eine ganze Reihe um die Jahrtausendwende verfasster Studien über das europäische 20. Jahrhundert schlug einen optimistischen Ton an. Mark Mazower erschienen die Aussichten am Ende des 20. Jahrhunderts »konfliktfreier als je zuvor«. Richard Vinen sprach von einer »Ära des gesunden Geldes«. Harold James konstatierte einen »fast vollständigen Sieg von Demokratie und Kapitalismus« (auch wenn er einschränkend auf den zunehmenden Unmut über diese Entwicklung hinwies) und betrachtete die Globalisierung in nahezu ungetrübter Weise als »Wiederaufstieg einer internationalen Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft«. Angesichts mancher Entwicklung im frühen 21. Jahrhundert sind Zweifel an solch positiven Einschätzungen angebracht. Auch Tony Judts fünf Jahre nach der Jahrtausendwende fertig gestelltes Standardwerk endet im großen Ganzen optimistisch. Der Nationalismus sei in Europa »gekommen und gegangen«, konstatiert er, und die letzten Worte seines Buchs lauten: »[D]as 21. Jahrhundert konnte das Jahrhundert Europas werden.« Bedenkt man das seit 2008 in Europa herrschende Durcheinander, den Aufstieg nationalistischer, fremdenfeindlicher Parteien in vielen Ländern, die langfristigen Herausforderungen, vor denen der Kontinent steht, und den offenbar unaufhaltsamen Aufstieg Chinas zur Weltmacht und zu globalem Einfluss, erscheinen solche Annahmen indes höchst zweifelhaft.»

Hier wird der Autor ehrlich: «Die Geschichte meiner eigenen Zeit zu schreiben war eine überaus schwierige Aufgabe, aber auch eine, die sich für mich als lohnend erwies. Ich habe unermesslich viel dazugelernt über Ereignisse und Entwicklungen, die mein Leben bestimmt haben. Am Ende konnte ich besser als vorher nachvollziehen, wie mein eigener Kontinent zu dem wurde, was er heute ist. Allein schon deshalb hat sich die Anstrengung für mich gelohnt. Was die Zukunft angeht: In dieser Hinsicht sind die Voraussagen eines Historikers nicht besser als diejenigen aller anderen.»

Wir werden es sehen, wie dieses Kapitel endet.
khw


IAN KERSHAW: ACHTERBAHN – Europa 1950 bis heute
Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt

Deutsche Verlags-Anstalt in der Verlagsgruppe Random House
München 2019
828 Seiten - illustriert - 38,00 EUR