10.08.2018
Harald Szeemann: Museum der Obsessionen

Thomas W. Gaehtgens schreibt im Vorwort „Ein erster Blick in die Fabbrica“: «Ausstellungen, die sich Kuratoren widmen, sind äußert selten und nicht einfach zu konzipieren. Doch sie können Einblicke in herausragende Momente der Kunstgeschichte ermöglichen. Das gilt insbesondere für Harald Szeemann, der zur Recht als einer der einflussreichsten Ausstellungsmacher der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt. Einmalig ist in seinem Fall der Umstand, dass er eine Fülle von Dokumenten und Objekten hinterlassen hat, die nicht nur Zeugnis von seiner Vision und seinem Ideenreichtum ablegen, sondern zugleich die Geschichten Hunderter Künstler erzählen, die Szeemann im Laufe seiner Karriere gefördert hat, durch unzählige Ausstellungen rund um die Welt.»

Harald (Harry) Szeemann entstammte einer österreich-ungarischen Familie. Der Großvater Etienne Szeemann war ein polyglotter Friseurmeister, der zunächst in Budapest, dann Wien und in Karlsbad arbeitet. Er wurde Schiffsfriseur und kam so nach London., wo 1905 der Vater von Harald Szeemann geboren wurde. Die Großeltern zogen 1906 mit ihren Kindern nach Bern, erhielten 1919 die Schweizer Staatsbürgerschaft. Harald Szeemann wird am 11. Juni 1933 in Bern geboren.

Bereits in seiner Gymnasialzeit interessierte den jungen Szeemann Musik, bilden Kunst und Literatur. Nach seinem Abitur studierte er von 1953 bis 1960 an der Universität in Bern und am Institut d´Artet d´Historie der Sorbonne Kunstgeschichte, Archäologie und Zeitungswissenschaft. Im Jahr 1956 gründete er ein «Ein-Mensch-Theater» wo er Textschreiber, Bühnenbildner und Hauptdarsteller war. Um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren bestätigte er sich als in einer Werbeagentur als Grafiker, Texter und Kunstmaler.

1960 promoviert Szeemann in Bern über die Anfänge der modernen Buchillustration und bekommt dafür magna cum laude. Während eines Pariser Aufenthalt bekommt er von Arnold Rüdlinger, dem ehemaligen Direktor der Berner Kunsthalle, den Hinweis, sich als Nachfolger von Franz Meyer zu bewerben. Und er wird ab 1961 vom Stiftungsrat - 51% der Miteigentümer sind Berner Künstler - zum Direktor der Berner Kunsthalle gewählt. Mit 27 Jahren ist Harald Szeemann der jüngste Kurator eines international bekannten Museums. Das Haus leitet er bis 1969.

Zur ersten wegweisenden Ausstellung war die von Hans Prinzhorn gesammelte Kunst von Geisteskranken in den Universitätskliniken in Bern, Lausanne und Paris. Szeemann zeigte die Arbeiten mit der Intention, dass die mentalen Produktionsstätten für Abseitiges nicht außerhalb, sondern innerhalb der Gesellschaft liegen. Ein weiterer Meilenstein seiner Tätigkeit war, dass Christo und Jeanne-Claude die Möglichkeit 1967 bekamen, die Kunsthalle Bern zu verpacken.

Auf Empfehlung des Galeristen und Förderer neuer Kunstrichtungen Rolf Ricke wurde Szeemann zum Kurator der Documenta 5 1972 bestellt. Er war der jüngste Leiter des «Museum der 100 Tage» und hatte den Titel «Befragung der Realität – Bildwelten heute».

Zu Harald Szeemanns richtungweisenden Ausstellungen zählen: «1988 Zeitlos, Berlin», «1995 Hundert Jahre Kino», «2004 Bienal Internaticional de Arte Contemporáneo de Sevilla» und 2005 «2005 in Brüssel im Palais des Beaux-Arts Belgique visionnaire (Visionäres Belgien)».

«Wer die Gelegenheit hatte, seine Arbeitsräume – die sogenannte Fabbrica Rosa im schweizerischen Maggia – zu betreten, der wurde schier überwältigt von der unfassbaren Masse an Büchern, Broschüren, Fotografien, Kisten von Unterlagen, Stapeln von Dokumenten und zusammengerollten Postern. Szeemann war ein obsessiver Sammler », so Thomas W. Gaehtgens weiter in seinem Vorwort.

Der Museumsmann Harald Szeemann starb am 18. Februar 2005 in Tegna im Tessin.

Heute befinden sich alle Szeemann Unterlagen im Getty Research Institute in Los Angeles.

Vom 6. Februar bis 6. Mai 2018 wurde «Harald Szeemann - Museum der Obsessionen» im Getty Research Institute in Los Angeles gezeigt. Weitere Stationen sind vom 9.Juni - 2. September die Kunsthalle Bern, es folgt die Kunsthalle Düsseldorf vom 10. Oktober 2018 bis zum 20. Januar 2019. Letzte Station ist vom 26. Februar bis zum 26. Mai 2019 das Castello di Rivoli, das Museo d´Arte Contemporanea in Turin/Italien.

Der Band «Harald Szeemann – Museum der Obsessionen», herausgegeben von Glenn Phillips und Philipp Kaiser mit Doris Chon und Pietro Ringolo führt in die Arbeit des Ausstellungsmachers von seinen Anfängen bis zu seiner letzten Arbeit ein. Hervorzuheben ist die verlegerische Arbeit wie auch der Leineneinband des vom Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich, betreuten Buchprojekt.
khw


Harald Szeemann – Museum der Obsessionen

Verlag Scheidegger & Spiess, Zurich/Schweiz 2018
406 Seiten – Abbildungen sw u. Farbe – 68,00 EUR