28.06.2018
Michael Angele: SCHIRRMACHER – EIN PORTRAIT

In der deutschen Mediengeschichte war er eine Ausnahmeerscheinung, immer die Herrschenden im Blick.

Frank Schirrmacher, geboren am 5. September 1959, verstorben am 12. Juni 2014 in Frankfurt/Main, war Journalist, Essayist, Buchautor und von 1994 bis zum Tode einer der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Das Blatt ist keine Postille für Arbeiter.

Der Sohn eines Ministerialrates der in Ostpreußen geboren, seine Mutter polnischer Herkunft studierte nach seinem Abitur 1979 an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und Clare College der Universität Cambridge in England Literatur und Philosophie mit dem Magister abschluss. Kurze Studienaufenthalte an der Universität Montpellier in Frankreich und Yale University in New Haven, Connecticut/ USA.

Im Jahr 1988 wurde Schirrmacher, bereits seit 1985 FAZ-Feuilletonredakteur, von der Universität-Gesamthochschule Siegen für seine 180-seitige Dissertation «Schrift als Tradition – die Dekonstruktion des literarischen Kanons bei Kafka und Harald Bloom» zum Dr. phil. promoviert.

In erster Ehe war er mit der Schriftstellerin Angelika Klüssendorf, mit er auch einen Sohn hat, verheiratet. In zweiter Ehe mit der Journalistin und Schriftstellerin Rebecca Casati, mit der er eine Tochter hatte. Er lebte in Potsdam-Sacrow mit der Familie, im Westend von Frankfurt war der zweite Wohnsitz.

Über Frank Schirrmacher schreibt Michael Angele in seinem Portrait: «Wer keine Angst vor Liebesentzug hatte, konnte mit Schirrmacher gut auskommen.» Und weiter schreibt er: «Dieses Buch will kein Psychogramm sein, aber es kommt nicht ganz ohne psychologisches Reden aus. Wie sollte es auch anders sein, da es schlicht und einfach danach fragt, wie ein Journalist so erfolgreich und mächtig werden konnte? Und Frank Schirrmacher war mächtig. Das konnte man nicht nur daran erkennen, dass es zu Lebzeiten in den großen Konkurrenzblättern kaum möglich war, ein kritisches Wort über ihn zu verlieren, dafür hatte er als begnadeter Netzwerker gesorgt.

In der Biografie schreibt der Autor: «Seine Macht reichte auch in die Politik, die er zunehmend zu beeinflussen versuchte und dabei die Nähe mal zu diesem Flügel (von Helmut Kohl bis Paul Kirchhof), mal zu jenem (von Joschka Fischer bis Sahra Wagenknecht) suchte. Am Stuhl des Bundespräsidenten Christian Wulff hat er so lange gesägt, bis dieser zusammenbrach. Gewiss, Schirrmacher wollte, dass die Politik den Ernst der Lage begreift (von der Überalterung der Gesellschaft bis zur digitalen Überwachung), er wollte aber auch Politik und Politiker »machen«. Martin Schulz, mit dem er über das Schlachtfeld von Verdun geschritten war und über eine digitale Charta nachgedacht hatte, bekannte noch zwei Jahre nach Schirrmachers Tod, dass er sich auf seinen langen Autofahrten oft frage, was Schirrmacher »uns wohl in dieser Situation geraten« hätte. Schirrmacher hätte dieses Bekenntnis vermutlich mit Freude erfüllt. Über Schirrmacher schreiben heißt ein Schelmenstück schreiben. Es ist das Stück, in dem er sich selbst sah.»

Am 21. September 2011 zur Aufführung eines Films über Erwin Rommel im Fernsehen sandte ich dem FAZ-Herausgeber einen Brief: «Sehr geehrter Herr Schirrmacher, im letzten Jahr veröffentlichte Manfred Rommel im Hohenheim-Verlag sein Buch „1944 – das Jahr der Entscheidung. Erwin Rommel in Frankreich“. Bereits diese Veröffentlichung seines Sohnes war keine historische Aufarbeitung, sie diente nur einer Weißwäsche des „Wüstenfuchs“. Ein klares Bild von Erwin Rommel zeichnet sein Italienaufenthalt als Oberbefehlshaber ab. Er hatte vom 20. Mai bis zum 12. Juli 1943 die Leitung in einem nach ihm benannten Arbeitsstab, der mit den Vorbereitungen für die deutschen Gegenmaßnahmen beim erwarteten Kriegsaustritt Italiens befasst war. Nachdem im Juli die Alliierten mit ihrer Operation Husky auf Sizilien landeten, wurde Rommel am 15. Juli der Oberbefehl über die Heeresgruppe B übertragen. Während Rommel die Truppen in Norditalien anführte, war in Süditalien Albert Kesselring zuständig. Nach der Landung der alliierten Truppen im September 1943 auf dem italienischen Festland wurde am 8. September der italienische Waffenstillstand bekannt gegeben.

Am 23. September 1943 gab Rommel die Weisung „Irgendwelche sentimentalen Hemmungen des deutschen Soldaten gegenüber badogliohörigen Banden in der Uniform des ehemaligen Waffenkameraden sind völlig unangebracht. Wer von diesen gegen den deutschen Soldaten kämpft, hat jedes Anrecht auf Schonung verloren und ist mit der Härte zu behandeln, die dem Gesindel gebührt, das plötzlich seine Waffen gegen seinen Freund wendet. Diese Auffassung muss beschleunigt Allgemeingut aller deutschen Truppen werden.“

Die Genfer Konvention missachtend, wurden etwa 1.070.000 entwaffnete italienische Soldaten als „Militärinternierte" zur Zwangsarbeit in der deutschen Kriegswirtschaft verpflichtet. Der Befehl von Rommel dazu vom 1. Oktober 1943 lautet: „Dieser Krieg ist ein totaler Krieg. Soweit die Männer Italiens nicht mehr die Gelegenheit haben, mit der Waffe für die Freiheit und Ehre ihres Vaterlandes zu kämpfen, haben sie die Pflicht, ihre volle Arbeitskraft in diesem Kampf einzusetzen."» Eine Antwort bekam ich nie.

Das Portrait Frank Schirrmacher lesenswert über einen Journalisten als Herausgeber der Frankfurter Allgemeine Zeitung, der die Politik in der Bundesrepublik mitbestimmte.
khw


Michael Angele: Schirrmacher – Ein Portrait

Aufbau Verlag, Berlin 2018
222 Seiten – 20,00 EUR