19.03.2018
Manfred Flügge: Stadt ohne Seele – Wien 1938

Der Autor Manfred Flügge, am 3. März 1946 als Kind einer ostpreußischen Flüchtlingsfamilie in der dänischen Stadt Kolding geboren, verbrachte ab 1948 seine Kindheit und Jugend im Ruhrgebiet. Nach seinem Abitur am Adalbert-Stifter-Gymnasium in Castrop-Rauxel studierte er von 1965 bis 1974 Romanistik und Geschichte an den Universitäten von Münster und Lille. Promovierte in Münster. Seine Habilitation erfolgte 1981 an der Freien Universität Berlin. Seit 1990 freier Schriftsteller nahm er 1992 am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt teil.

Mit seinem Buch «Stadt ohne Seele - Wien 1938» zeichnet Manfred Flügge die Ereignisse in Österreich des Jahres 1938 nach, auch den Ständestaat zwischen 1934 und 1938. Es ist ein dokumentarischer Roman, auch die Exilgeschichte von Sigmund Freud, der Wien am 4. Juni 1938 verlässt und nach London geht, als Klammer für sein Buch benutzt. Der Autor schreibt zum Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich: «Der Anschluss, zwischen dem 11. und dem 15. März 1938 vollzogen, ist nicht einfach eine peinliche und ungern erinnerte Episode der österreichischen Geschichte; er bietet ein universelles Lehrstück von bleibendem Wert. Dabei ging es nicht nur um die Unterwerfung des Landes Österreich durch die deutschen Nationalsozialisten, sondern auch um Österreichs eigenen Weg in die Barbarei. Der Einmarsch von außen korrespondierte mit einem Aufmarsch im Innern. Wenn es auch vermutlich keine politische Mehrheit für den Anschluss gegeben hat, so gab es doch im Lande gesellschaftliche und politische Kräfte und einzelne Politiker, die diesen Weg verfolgt und gefördert haben oder ihn willig mitgegangen sind.

In Deutschland hatte es 1933 einige Monate gedauert, ehe durch Terror, Verbote und Einschüchterung die Macht vollständig in den Händen der NSDAP lag und alle staatlichen Instanzen gefügig gemacht wurden. Maßnahmen zur Diskriminierung und allmählichen Verdrängung der Juden aus der öffentlichen Sphäre, zu ihrer fortschreitenden Entrechtung, Beraubung, Vertreibung wurden über einen längeren Zeitraum eingeführt. In Wien geschah all das innerhalb weniger Tage, und der Terror setzte gleichsam über Nacht ein. Das plötzliche Hereinbrechen einer schrankenlosen Gewaltherrschaft macht die Besonderheit der Wiener aus.»

Unmittelbare Folge des Anschlusses am 12. März 1938 ist, dass ein Sechstel der Wiener nun rechtlos -vogelfrei - sind. In der ersten Woche nach dem «Anschluss» werden in Wien 14. 000 Bürger verhaftet, 8.000 Beamte entlassen und 600 Selbstmorde registriert. Es werden Berufsverbote für jüdische Künstler, Lehrer, Journalisten, Anwälte und Ärzte erteilt. Auch an der Universität besteht ein Verbot für Juden.

Mit seinem Buch liefert der Autor die Hintergründe zum Verständnis, was am 12. März 1938 mit den Anschluss Österreichs passierte.
khw


Manfred Flügge: Stadt ohne Seele – Wien 1938

Aufbau Verlag, Berlin 2018
479 Seiten, geb., 25,00 EUR