12.01.2018
KARL SCHLÖGEL: DAS SOWJETISCHE JAHRHUNDERT
ARCHÄOLOGIE EINER UNTERGEGEGANEN WELT

Der Autor Karl Schlögel wurde am 7. März 1948 als zweites von sechs Kindern des Landwirtsehepaar Clemens und Victoria Schlögel in Hawangen/Allgäu geboren. Hier besuchte er von 1954 bis 1958 die Volksschule, wechselte auf das Humanistische Gymnasium Collegium Rupertinum in der nahegelegenen Benediktinerabtei Ottobeuren. Das Abitur machte Schlögel 1967 in Scheyern/Oberbayern. Nach dem Zivildienst begann er 1969 mit dem Studium der Philosophie, Soziologie, Osteuropäische Geschichte und Slawistik, Fortsetzung an der Freien Universität Berlin.

Das sich Schlögel für diese Studienrichtung entscheidet reist er 1965 in die Tschechoslowakei und ein weiteres ein Jahr später in die Sowjetunion. An der FU erlebt er die Auflösung der Studentenbewegung. Schlögel schreibt erste Beiträge für die anarchistische Zeitschrift «Agit 883», ab 1972 dann ständig in der maoistischen orientierten Aufbauorganisation der KPD/AO wie deren Studentenverband KSV. Zeitweise leitete Schlögel das Zentralorgan des KSV «Dem Volke dienen». Über seine Erfahrungen hat er 1980 gemeinsam mit Willi Jasper und Bernd Ziesemer das Buch mit dem Titel «Partei kaputt: Das Scheitern der KPD und die Krise die Linken» publiziert. - Dabei war die originäre KPD am 17. August 1956 – es war das zweite Parteienverbot in der jungen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, nachdem die offen neonazistische «Sozialistische Reichspartei» (SRP) bereits am 23. Oktober 1952 verboten wurde.

Sein Studium beendete Karl Schlögel 1981 mit seiner Dissertation über Arbeitskonflikte in der Sowjetunion nach Stalin. Ein Jahr später dann Student des «Deutschen Akademischen Austauschdienst» an der Lomonossow Universität in Moskau. Hier beschäftigte er sich vor allem mit der Geschichte der russischen Intelligenzija im 19. und 20. Jahrhundert.

Nach seiner Rückkehr aus Moskau Arbeit als Privatgelehrter, schreibt als freier Autor für Rundfunk und Zeitungen, vom «Tagesspiel», der «FAZ» bis zur «Die Zeit». Im Verlag von Wolf Jobst Siedler, heute Random House, Veröffentlichung von Bücher mit Titel wie «Moskau lesen». 1990 kommt der Ruf auf die neugegründete Professur für Osteuropäische Geschichte an der Universität Konstanz, bleibt bis 1994. Dann 1995 die Übernahme der Professur für Osteuropäische Geschichte an der 1991 neugegründeten «Europa-Universität Viadrina» in Frankfurt/Oder, wo er 2013 auch emeritiert wurde.

Anders als seine Kollegen sieht Karl Schlögel in lebendiger Zeitgenossenschaft nicht ein Hindernis für eine objektive Geschichtsschreibung, sondern eine wesentliche Bedingung. So leiten sich die Themen eher aus einer lebensgeschichtlichen Erfahrung als aus einer Logik der Erfahrung ab.

Nun liegt mit dem Titel «Das sowjetische Jahrhundert» Karl Schlögels Summe seiner Erfahrungen mit der Sowjetunion auf 912 Seiten vor. Im Vorwort schreibt der Autor «Historiker sind auch Zeitgenossen, und zuweilen kommen sie in die Lage, Augenzeugen von etwas zu werden, was in der Fachsprache dann «Zäsur», «historischer Augenblick», «Epochenende« heißt. So war es auch im Falle der Sowjetunion. Nicht die Geschichte war zu Ende gekommen, wohl aber das Imperium, dessen Zeit abgelaufen war.» Aber stimmt das so?

Dann wird Karl Schlögel konkret: «Aber dann kam jener berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der beschleunigende und entscheidende Impuls war Putins Annexion der Krim und der unerklärte Krieg gegen die Ukraine seither, der - so fand ich - einen zwang, noch einmal einen Blick auf das untergegangene Imperium zu werfen. Auf dieser Grundlage entstand der Plan zum vorliegenden Buch. Eine Skizze des Vorhabens konnte ich der Carl Friedrich von Siemens Stiftung in München im Jahre 2014 vortragen, und zwar unter dem Titel «Archäologie des Kommunismus. Sich ein Bild machen von Russland im 20. Jahrhundert». Dass ich konzentriert unter privilegierten Bedingungen an einem Buch arbeiten und es fertigstellen konnte, wäre ohne die großzügige Förderung durch die Carl Friedrich von Siemens Stiftung und ihren Direktor Professor Heinrich Meier nicht möglich gewesen.»

So haben wir nun eine von der deutschen Industrie geförderte Geschichte der UdSSR. Ich kenne auch die Sowjetunion durch meine Teilnahme an Filmfestivals in Moskau oder noch in Leningrad - nur meine Geschichte über Russland würde einen anderen Schwerpunkt haben, der sicherlich nicht von der Siemensstiftung gefördert würde.
khw


Karl Schlögel: DAS SOWJETISCHE JAHRHUNDERT
ARCHÄOLOGOGIE EINER UNTERGEGANGENEN WELT

Verlag C. H. Beck, München 2017
Edition der Carl Friedrich von Siemens Stiftung
912 Seiten – 86 Abbildungen – 38,00 EUR